erst was es eigentlich seyn soll. Es hat sich nicht als selbständig angekündigt; es ist viel¬ mehr bestimmt die Lücken eines Autorlebens auszufüllen, manches Bruchstück zu ergänzen und das Andenken verlorner und verschollener Wagnisse zu erhalten. Was aber schon ge¬ than ist, soll und kann nicht wiederholt wer¬ den; auch würde der Dichter jetzt die verdü¬ sterten Seelenkräfte vergebens aufrufen, um¬ sonst von ihnen fordern, daß sie jene liebli¬ chen Verhältnisse wieder vergegenwärtigen möchten, welche ihm den Aufenthalt im Lahn¬ thale so hoch verschönten. Glücklicherweise hatte der Genius schon früher dafür gesorgt, und ihn angetrieben, in vermögender Jugend¬ zeit das nächst Vergangene festzuhalten, zu schildern und kühn genug zur günstigen Stun¬ de öffentlich aufzustellen. Daß hier das Büch¬ lein Werther gemeint sey, bedarf wohl kei¬ ner nähern Bezeichnung; von den darin auf¬ geführten Personen aber, so wie von den
erſt was es eigentlich ſeyn ſoll. Es hat ſich nicht als ſelbſtaͤndig angekuͤndigt; es iſt viel¬ mehr beſtimmt die Luͤcken eines Autorlebens auszufuͤllen, manches Bruchſtuͤck zu ergaͤnzen und das Andenken verlorner und verſchollener Wagniſſe zu erhalten. Was aber ſchon ge¬ than iſt, ſoll und kann nicht wiederholt wer¬ den; auch wuͤrde der Dichter jetzt die verduͤ¬ ſterten Seelenkraͤfte vergebens aufrufen, um¬ ſonſt von ihnen fordern, daß ſie jene liebli¬ chen Verhaͤltniſſe wieder vergegenwaͤrtigen moͤchten, welche ihm den Aufenthalt im Lahn¬ thale ſo hoch verſchoͤnten. Gluͤcklicherweiſe hatte der Genius ſchon fruͤher dafuͤr geſorgt, und ihn angetrieben, in vermoͤgender Jugend¬ zeit das naͤchſt Vergangene feſtzuhalten, zu ſchildern und kuͤhn genug zur guͤnſtigen Stun¬ de oͤffentlich aufzuſtellen. Daß hier das Buͤch¬ lein Werther gemeint ſey, bedarf wohl kei¬ ner naͤhern Bezeichnung; von den darin auf¬ gefuͤhrten Perſonen aber, ſo wie von den
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0238"n="230"/>
erſt was es eigentlich ſeyn ſoll. Es hat ſich<lb/>
nicht als ſelbſtaͤndig angekuͤndigt; es iſt viel¬<lb/>
mehr beſtimmt die Luͤcken eines Autorlebens<lb/>
auszufuͤllen, manches Bruchſtuͤck zu ergaͤnzen<lb/>
und das Andenken verlorner und verſchollener<lb/>
Wagniſſe zu erhalten. Was aber ſchon ge¬<lb/>
than iſt, ſoll und kann nicht wiederholt wer¬<lb/>
den; auch wuͤrde der Dichter jetzt die verduͤ¬<lb/>ſterten Seelenkraͤfte vergebens aufrufen, um¬<lb/>ſonſt von ihnen fordern, daß ſie jene liebli¬<lb/>
chen Verhaͤltniſſe wieder vergegenwaͤrtigen<lb/>
moͤchten, welche ihm den Aufenthalt im Lahn¬<lb/>
thale ſo hoch verſchoͤnten. Gluͤcklicherweiſe<lb/>
hatte der Genius ſchon fruͤher dafuͤr geſorgt,<lb/>
und ihn angetrieben, in vermoͤgender Jugend¬<lb/>
zeit das naͤchſt Vergangene feſtzuhalten, zu<lb/>ſchildern und kuͤhn genug zur guͤnſtigen Stun¬<lb/>
de oͤffentlich aufzuſtellen. Daß hier das Buͤch¬<lb/>
lein <hirendition="#g">Werther</hi> gemeint ſey, bedarf wohl kei¬<lb/>
ner naͤhern Bezeichnung; von den darin auf¬<lb/>
gefuͤhrten Perſonen aber, ſo wie von den<lb/></p></div></body></text></TEI>
[230/0238]
erſt was es eigentlich ſeyn ſoll. Es hat ſich
nicht als ſelbſtaͤndig angekuͤndigt; es iſt viel¬
mehr beſtimmt die Luͤcken eines Autorlebens
auszufuͤllen, manches Bruchſtuͤck zu ergaͤnzen
und das Andenken verlorner und verſchollener
Wagniſſe zu erhalten. Was aber ſchon ge¬
than iſt, ſoll und kann nicht wiederholt wer¬
den; auch wuͤrde der Dichter jetzt die verduͤ¬
ſterten Seelenkraͤfte vergebens aufrufen, um¬
ſonſt von ihnen fordern, daß ſie jene liebli¬
chen Verhaͤltniſſe wieder vergegenwaͤrtigen
moͤchten, welche ihm den Aufenthalt im Lahn¬
thale ſo hoch verſchoͤnten. Gluͤcklicherweiſe
hatte der Genius ſchon fruͤher dafuͤr geſorgt,
und ihn angetrieben, in vermoͤgender Jugend¬
zeit das naͤchſt Vergangene feſtzuhalten, zu
ſchildern und kuͤhn genug zur guͤnſtigen Stun¬
de oͤffentlich aufzuſtellen. Daß hier das Buͤch¬
lein Werther gemeint ſey, bedarf wohl kei¬
ner naͤhern Bezeichnung; von den darin auf¬
gefuͤhrten Perſonen aber, ſo wie von den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/238>, abgerufen am 02.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.