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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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Mein zaudernder und schwankender Entschluß
war sogleich bestimmt, und ich flog sträcklings
dem Orte zu, wo ein so alter Anfänger mit
einiger Schicklichkeit seine ersten Uebungen an¬
stellen konnte. Und fürwahr! diese Kraftäu¬
ßerung verdiente wohl von Klopstock empfoh¬
len zu werden, die uns mit der frischesten
Kindheit in Berührung setzt, den Jüngling
seiner Gelenkheit ganz zu genießen aufruft,
und ein stockendes Alter abzuwehren geeignet
ist. Auch hingen wir dieser Lust unmäßig
nach. Einen herrlichen Sonnentag so auf
dem Eise zu verbringen, genügte uns nicht;
wir setzten unsere Bewegung bis spät in die
Nacht fort. Denn wie andere Anstrengun¬
gen den Leib ermüden, so verleiht ihm diese
eine immer neue Schwungkraft. Der über
den nächtlichen, weiten, zu Eisfeldern über¬
frorenen Wiesen aus den Wolken hervortre¬
tende Vollmond, die unserm Lauf entgegen¬
säuselnde Nachtluft, des bey abnehmendem
Wasser sich senkenden Eises ernsthafter Don¬

Mein zaudernder und ſchwankender Entſchluß
war ſogleich beſtimmt, und ich flog ſtraͤcklings
dem Orte zu, wo ein ſo alter Anfaͤnger mit
einiger Schicklichkeit ſeine erſten Uebungen an¬
ſtellen konnte. Und fuͤrwahr! dieſe Kraftaͤu¬
ßerung verdiente wohl von Klopſtock empfoh¬
len zu werden, die uns mit der friſcheſten
Kindheit in Beruͤhrung ſetzt, den Juͤngling
ſeiner Gelenkheit ganz zu genießen aufruft,
und ein ſtockendes Alter abzuwehren geeignet
iſt. Auch hingen wir dieſer Luſt unmaͤßig
nach. Einen herrlichen Sonnentag ſo auf
dem Eiſe zu verbringen, genuͤgte uns nicht;
wir ſetzten unſere Bewegung bis ſpaͤt in die
Nacht fort. Denn wie andere Anſtrengun¬
gen den Leib ermuͤden, ſo verleiht ihm dieſe
eine immer neue Schwungkraft. Der uͤber
den naͤchtlichen, weiten, zu Eisfeldern uͤber¬
frorenen Wieſen aus den Wolken hervortre¬
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[185/0193] Mein zaudernder und ſchwankender Entſchluß war ſogleich beſtimmt, und ich flog ſtraͤcklings dem Orte zu, wo ein ſo alter Anfaͤnger mit einiger Schicklichkeit ſeine erſten Uebungen an¬ ſtellen konnte. Und fuͤrwahr! dieſe Kraftaͤu¬ ßerung verdiente wohl von Klopſtock empfoh¬ len zu werden, die uns mit der friſcheſten Kindheit in Beruͤhrung ſetzt, den Juͤngling ſeiner Gelenkheit ganz zu genießen aufruft, und ein ſtockendes Alter abzuwehren geeignet iſt. Auch hingen wir dieſer Luſt unmaͤßig nach. Einen herrlichen Sonnentag ſo auf dem Eiſe zu verbringen, genuͤgte uns nicht; wir ſetzten unſere Bewegung bis ſpaͤt in die Nacht fort. Denn wie andere Anſtrengun¬ gen den Leib ermuͤden, ſo verleiht ihm dieſe eine immer neue Schwungkraft. Der uͤber den naͤchtlichen, weiten, zu Eisfeldern uͤber¬ frorenen Wieſen aus den Wolken hervortre¬ tende Vollmond, die unſerm Lauf entgegen¬ ſaͤuſelnde Nachtluft, des bey abnehmendem Waſſer ſich ſenkenden Eiſes ernſthafter Don¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/193>, abgerufen am 02.05.2024.