gel einer gewohnten erquicklichen Liebe, höchst peinlich, ja unerträglich. Aber der Mensch will leben; daher nahm ich aufrichtigen Theil an andern, ich suchte ihre Verlegenheiten zu entwirren, und was sich trennen wollte zu ver¬ binden, damit es ihnen nicht ergehen möchte wie mir. Man pflegte mich daher den Ver¬ trauten zu nennen, auch, wegen meines Umherschweifens in der Gegend, den Wan¬ derer. Dieser Beruhigung für mein Ge¬ müth, die mir nur unter freyem Himmel, in Thälern, auf Höhen, in Gefilden und Wäl¬ dern zu Theil ward, kam die Lage von Frank¬ furt zu statten, das zwischen Darmstadt und Homburg mitten inne lag, zwey angenehmen Orten, die durch Verwandtschaft beyder Höfe in gutem Verhältniß standen. Ich gewöhnte mich, auf der Straße zu leben, und wie ein Bote zwischen dem Gebirg und dem flachen Lande hin und her zu wandern. Oft ging ich allein oder Gesellschaft durch meine Va¬ terstadt, als wenn sie mich nichts anginge,
gel einer gewohnten erquicklichen Liebe, hoͤchſt peinlich, ja unertraͤglich. Aber der Menſch will leben; daher nahm ich aufrichtigen Theil an andern, ich ſuchte ihre Verlegenheiten zu entwirren, und was ſich trennen wollte zu ver¬ binden, damit es ihnen nicht ergehen moͤchte wie mir. Man pflegte mich daher den Ver¬ trauten zu nennen, auch, wegen meines Umherſchweifens in der Gegend, den Wan¬ derer. Dieſer Beruhigung fuͤr mein Ge¬ muͤth, die mir nur unter freyem Himmel, in Thaͤlern, auf Hoͤhen, in Gefilden und Waͤl¬ dern zu Theil ward, kam die Lage von Frank¬ furt zu ſtatten, das zwiſchen Darmſtadt und Homburg mitten inne lag, zwey angenehmen Orten, die durch Verwandtſchaft beyder Hoͤfe in gutem Verhaͤltniß ſtanden. Ich gewoͤhnte mich, auf der Straße zu leben, und wie ein Bote zwiſchen dem Gebirg und dem flachen Lande hin und her zu wandern. Oft ging ich allein oder Geſellſchaft durch meine Va¬ terſtadt, als wenn ſie mich nichts anginge,
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gel einer gewohnten erquicklichen Liebe, hoͤchſt
peinlich, ja unertraͤglich. Aber der Menſch
will leben; daher nahm ich aufrichtigen Theil
an andern, ich ſuchte ihre Verlegenheiten zu
entwirren, und was ſich trennen wollte zu ver¬
binden, damit es ihnen nicht ergehen moͤchte
wie mir. Man pflegte mich daher den Ver¬
trauten zu nennen, auch, wegen meines
Umherſchweifens in der Gegend, den Wan¬
derer. Dieſer Beruhigung fuͤr mein Ge¬
muͤth, die mir nur unter freyem Himmel, in
Thaͤlern, auf Hoͤhen, in Gefilden und Waͤl¬
dern zu Theil ward, kam die Lage von Frank¬
furt zu ſtatten, das zwiſchen Darmſtadt und
Homburg mitten inne lag, zwey angenehmen
Orten, die durch Verwandtſchaft beyder Hoͤfe
in gutem Verhaͤltniß ſtanden. Ich gewoͤhnte
mich, auf der Straße zu leben, und wie ein
Bote zwiſchen dem Gebirg und dem flachen
Lande hin und her zu wandern. Oft ging
ich allein oder Geſellſchaft durch meine Va¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/188>, abgerufen am 27.11.2024.
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