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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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bekannt gemacht. Die derbe Natürlichkeit des
alten Testaments und die zarte Naivetät des
neuen hatte mich im Einzelnen angezogen;
als ein Ganzes wollte sie mir zwar niemals
recht entgegentreten, aber die verschiedenen
Character der verschiedenen Bücher machten
mich nun nicht mehr irre: ich wußte mir ihre
Bedeutung der Reihe nach treulich zu verge¬
genwärtigen und hatte überhaupt zuviel Ge¬
müth an dieses Buch verwandt, als daß ich
es jemals wieder hätte entbehren sollen. Eben
von dieser gemüthlichen Seite war ich gegen
alle Spöttereyen geschützt, weil ich deren Un¬
redlichkeit sogleich einsah. Ich verabscheute
sie nicht nur, sondern ich konnte darüber in
Wuth gerathen, und ich erinnere mich noch
genau, daß ich in kindlich fanatischem Eifer,
Voltairen, wenn ich ihn hätte habhaft wer¬
den können, wegen seines Sauls gar wohl
erdrosselt hätte. Jede Art von redlicher For¬
schung dagegen sagte mir höchlich zu, die Auf¬
klärungen über des Orients Localität und

bekannt gemacht. Die derbe Natuͤrlichkeit des
alten Teſtaments und die zarte Naivetaͤt des
neuen hatte mich im Einzelnen angezogen;
als ein Ganzes wollte ſie mir zwar niemals
recht entgegentreten, aber die verſchiedenen
Character der verſchiedenen Buͤcher machten
mich nun nicht mehr irre: ich wußte mir ihre
Bedeutung der Reihe nach treulich zu verge¬
genwaͤrtigen und hatte uͤberhaupt zuviel Ge¬
muͤth an dieſes Buch verwandt, als daß ich
es jemals wieder haͤtte entbehren ſollen. Eben
von dieſer gemuͤthlichen Seite war ich gegen
alle Spoͤttereyen geſchuͤtzt, weil ich deren Un¬
redlichkeit ſogleich einſah. Ich verabſcheute
ſie nicht nur, ſondern ich konnte daruͤber in
Wuth gerathen, und ich erinnere mich noch
genau, daß ich in kindlich fanatiſchem Eifer,
Voltairen, wenn ich ihn haͤtte habhaft wer¬
den koͤnnen, wegen ſeines Sauls gar wohl
erdroſſelt haͤtte. Jede Art von redlicher For¬
ſchung dagegen ſagte mir hoͤchlich zu, die Auf¬
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[155/0163] bekannt gemacht. Die derbe Natuͤrlichkeit des alten Teſtaments und die zarte Naivetaͤt des neuen hatte mich im Einzelnen angezogen; als ein Ganzes wollte ſie mir zwar niemals recht entgegentreten, aber die verſchiedenen Character der verſchiedenen Buͤcher machten mich nun nicht mehr irre: ich wußte mir ihre Bedeutung der Reihe nach treulich zu verge¬ genwaͤrtigen und hatte uͤberhaupt zuviel Ge¬ muͤth an dieſes Buch verwandt, als daß ich es jemals wieder haͤtte entbehren ſollen. Eben von dieſer gemuͤthlichen Seite war ich gegen alle Spoͤttereyen geſchuͤtzt, weil ich deren Un¬ redlichkeit ſogleich einſah. Ich verabſcheute ſie nicht nur, ſondern ich konnte daruͤber in Wuth gerathen, und ich erinnere mich noch genau, daß ich in kindlich fanatiſchem Eifer, Voltairen, wenn ich ihn haͤtte habhaft wer¬ den koͤnnen, wegen ſeines Sauls gar wohl erdroſſelt haͤtte. Jede Art von redlicher For¬ ſchung dagegen ſagte mir hoͤchlich zu, die Auf¬ klaͤrungen uͤber des Orients Localitaͤt und

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/163>, abgerufen am 02.05.2024.