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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814.

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einen Kreis von verständigen und liebenswür¬
digen Frauenzimmern um sich versammelt.
Ohne herrisch zu seyn, herrschte sie über alle,
indem ihr Verstand gar manches übersehn
und ihr guter Wille vieles ausgleichen konnte,
sie auch überdieß in dem Fall war, eher die
Vertraute als die Rivalinn zu spielen. Von
ältern Freunden und Bekannten fand ich an
Horn den unveränderlich treuen Freund und
heiteren Gesellschafter; mit Riese ward ich
auch vertraut, der meinen Scharfsinn zu üben
und zu prüfen nicht verfehlte, indem er, durch
anhaltenden Widerspruch, einem dogmatischen
Enthusiasmus, in welchen ich nur gar zu
gern verfiel, Zweifel und Verneinung entge¬
gensetzte. Andere traten nach und nach zu
diesem Kreis, deren ich künftig gedenke; je¬
doch standen unter den Personen, die mir den
neuen Aufenthalt in meiner Vaterstadt ange¬
nehm und fruchtbar machten, die Gebrüder
Schlosser allerdings oben an. Der ältere,
Hieronymus, ein gründlicher und elegan¬

einen Kreis von verſtaͤndigen und liebenswuͤr¬
digen Frauenzimmern um ſich verſammelt.
Ohne herriſch zu ſeyn, herrſchte ſie uͤber alle,
indem ihr Verſtand gar manches uͤberſehn
und ihr guter Wille vieles ausgleichen konnte,
ſie auch uͤberdieß in dem Fall war, eher die
Vertraute als die Rivalinn zu ſpielen. Von
aͤltern Freunden und Bekannten fand ich an
Horn den unveraͤnderlich treuen Freund und
heiteren Geſellſchafter; mit Rieſe ward ich
auch vertraut, der meinen Scharfſinn zu uͤben
und zu pruͤfen nicht verfehlte, indem er, durch
anhaltenden Widerſpruch, einem dogmatiſchen
Enthuſiasmus, in welchen ich nur gar zu
gern verfiel, Zweifel und Verneinung entge¬
genſetzte. Andere traten nach und nach zu
dieſem Kreis, deren ich kuͤnftig gedenke; je¬
doch ſtanden unter den Perſonen, die mir den
neuen Aufenthalt in meiner Vaterſtadt ange¬
nehm und fruchtbar machten, die Gebruͤder
Schloſſer allerdings oben an. Der aͤltere,
Hieronymus, ein gruͤndlicher und elegan¬

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[140/0148] einen Kreis von verſtaͤndigen und liebenswuͤr¬ digen Frauenzimmern um ſich verſammelt. Ohne herriſch zu ſeyn, herrſchte ſie uͤber alle, indem ihr Verſtand gar manches uͤberſehn und ihr guter Wille vieles ausgleichen konnte, ſie auch uͤberdieß in dem Fall war, eher die Vertraute als die Rivalinn zu ſpielen. Von aͤltern Freunden und Bekannten fand ich an Horn den unveraͤnderlich treuen Freund und heiteren Geſellſchafter; mit Rieſe ward ich auch vertraut, der meinen Scharfſinn zu uͤben und zu pruͤfen nicht verfehlte, indem er, durch anhaltenden Widerſpruch, einem dogmatiſchen Enthuſiasmus, in welchen ich nur gar zu gern verfiel, Zweifel und Verneinung entge¬ genſetzte. Andere traten nach und nach zu dieſem Kreis, deren ich kuͤnftig gedenke; je¬ doch ſtanden unter den Perſonen, die mir den neuen Aufenthalt in meiner Vaterſtadt ange¬ nehm und fruchtbar machten, die Gebruͤder Schloſſer allerdings oben an. Der aͤltere, Hieronymus, ein gruͤndlicher und elegan¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/148>, abgerufen am 23.11.2024.