Und so will ich denn auch noch eines klei¬ nen aber merkwürdig Epoche machenden Werks gedenken, es ist Rousseaus Pygmalion. Viel könnte man darüber sagen: denn diese wunderliche Production schwankt gleichfalls zwischen Natur und Kunst, mit dem falschen Bestreben, diese in jene aufzulösen. Wir se¬ hen einen Künstler, der das Vollkommenste geleistet hat, und doch nicht Befriedigung darin findet, seine Idee außer sich, kunstge¬ mäß dargestellt und ihr ein höheres Leben verliehen zu haben; nein! sie soll auch in das irdische Leben zu ihm herabgezogen wer¬ den. Er will das Höchste was Geist und That hervorgebracht, durch den gemeinsten Act der Sinnlichkeit zerstören.
Alles dieses und manches andere, recht und thörigt, wahr und halbwahr, das auf uns einwirkte, trug noch mehr bey, die Be¬ griffe zu verwirren; wir trieben uns auf man¬ cherley Abwegen und Umwegen herum, und
Und ſo will ich denn auch noch eines klei¬ nen aber merkwuͤrdig Epoche machenden Werks gedenken, es iſt Rouſſeaus Pygmalion. Viel koͤnnte man daruͤber ſagen: denn dieſe wunderliche Production ſchwankt gleichfalls zwiſchen Natur und Kunſt, mit dem falſchen Beſtreben, dieſe in jene aufzuloͤſen. Wir ſe¬ hen einen Kuͤnſtler, der das Vollkommenſte geleiſtet hat, und doch nicht Befriedigung darin findet, ſeine Idee außer ſich, kunſtge¬ maͤß dargeſtellt und ihr ein hoͤheres Leben verliehen zu haben; nein! ſie ſoll auch in das irdiſche Leben zu ihm herabgezogen wer¬ den. Er will das Hoͤchſte was Geiſt und That hervorgebracht, durch den gemeinſten Act der Sinnlichkeit zerſtoͤren.
Alles dieſes und manches andere, recht und thoͤrigt, wahr und halbwahr, das auf uns einwirkte, trug noch mehr bey, die Be¬ griffe zu verwirren; wir trieben uns auf man¬ cherley Abwegen und Umwegen herum, und
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Und ſo will ich denn auch noch eines klei¬
nen aber merkwuͤrdig Epoche machenden Werks
gedenken, es iſt Rouſſeaus Pygmalion.
Viel koͤnnte man daruͤber ſagen: denn dieſe
wunderliche Production ſchwankt gleichfalls
zwiſchen Natur und Kunſt, mit dem falſchen
Beſtreben, dieſe in jene aufzuloͤſen. Wir ſe¬
hen einen Kuͤnſtler, der das Vollkommenſte
geleiſtet hat, und doch nicht Befriedigung
darin findet, ſeine Idee außer ſich, kunſtge¬
maͤß dargeſtellt und ihr ein hoͤheres Leben
verliehen zu haben; nein! ſie ſoll auch in
das irdiſche Leben zu ihm herabgezogen wer¬
den. Er will das Hoͤchſte was Geiſt und
That hervorgebracht, durch den gemeinſten
Act der Sinnlichkeit zerſtoͤren.
Alles dieſes und manches andere, recht
und thoͤrigt, wahr und halbwahr, das auf
uns einwirkte, trug noch mehr bey, die Be¬
griffe zu verwirren; wir trieben uns auf man¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 3. Tübingen, 1814, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben03_1814/110>, abgerufen am 24.11.2024.
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