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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Halb willig, halb genöthigt zogen die Da¬
men ihre Röllchen, und gar leicht bemerkte
man, daß bey dieser geringen Handlung man¬
cherley Leidenschaften im Spiel waren. Glück¬
licherweise traf sich's, daß die Heitergesinnten
getrennt wurden, die Ernsteren zusammenblie¬
ben; und so behielt auch meine Schwester ih¬
ren Engländer, welches sie beyderseits dem
Gott der Liebe und des Glücks sehr gut auf¬
nahmen. Die neuen Zufallspaare wurden so¬
gleich von dem Antistes zusammengegeben, auf
ihre Gesundheit getrunken und allen um so
mehr Freude gewünscht, als ihre Dauer nur
kurz seyn sollte. Gewiß aber war dieß der
heiterste Moment, den unsere Gesellschaft seit
langer Zeit genossen. Die jungen Männer,
denen kein Frauenzimmer zu Theil geworden,
erhielten nunmehr das Amt, diese Woche über
für Geist, Seele und Leib zu sorgen, wie
sich unser Redner ausdrückte, besonders aber,
meynte er, für die Seele, weil die beyden an¬
deren sich schon eher selbst zu helfen wüßten.

Halb willig, halb genoͤthigt zogen die Da¬
men ihre Roͤllchen, und gar leicht bemerkte
man, daß bey dieſer geringen Handlung man¬
cherley Leidenſchaften im Spiel waren. Gluͤck¬
licherweiſe traf ſich's, daß die Heitergeſinnten
getrennt wurden, die Ernſteren zuſammenblie¬
ben; und ſo behielt auch meine Schweſter ih¬
ren Englaͤnder, welches ſie beyderſeits dem
Gott der Liebe und des Gluͤcks ſehr gut auf¬
nahmen. Die neuen Zufallspaare wurden ſo¬
gleich von dem Antiſtes zuſammengegeben, auf
ihre Geſundheit getrunken und allen um ſo
mehr Freude gewuͤnſcht, als ihre Dauer nur
kurz ſeyn ſollte. Gewiß aber war dieß der
heiterſte Moment, den unſere Geſellſchaft ſeit
langer Zeit genoſſen. Die jungen Maͤnner,
denen kein Frauenzimmer zu Theil geworden,
erhielten nunmehr das Amt, dieſe Woche uͤber
fuͤr Geiſt, Seele und Leib zu ſorgen, wie
ſich unſer Redner ausdruͤckte, beſonders aber,
meynte er, fuͤr die Seele, weil die beyden an¬
deren ſich ſchon eher ſelbſt zu helfen wuͤßten.

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[46/0054] Halb willig, halb genoͤthigt zogen die Da¬ men ihre Roͤllchen, und gar leicht bemerkte man, daß bey dieſer geringen Handlung man¬ cherley Leidenſchaften im Spiel waren. Gluͤck¬ licherweiſe traf ſich's, daß die Heitergeſinnten getrennt wurden, die Ernſteren zuſammenblie¬ ben; und ſo behielt auch meine Schweſter ih¬ ren Englaͤnder, welches ſie beyderſeits dem Gott der Liebe und des Gluͤcks ſehr gut auf¬ nahmen. Die neuen Zufallspaare wurden ſo¬ gleich von dem Antiſtes zuſammengegeben, auf ihre Geſundheit getrunken und allen um ſo mehr Freude gewuͤnſcht, als ihre Dauer nur kurz ſeyn ſollte. Gewiß aber war dieß der heiterſte Moment, den unſere Geſellſchaft ſeit langer Zeit genoſſen. Die jungen Maͤnner, denen kein Frauenzimmer zu Theil geworden, erhielten nunmehr das Amt, dieſe Woche uͤber fuͤr Geiſt, Seele und Leib zu ſorgen, wie ſich unſer Redner ausdruͤckte, beſonders aber, meynte er, fuͤr die Seele, weil die beyden an¬ deren ſich ſchon eher ſelbſt zu helfen wuͤßten.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/54>, abgerufen am 19.05.2024.