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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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ganz gerne that, um so mehr als die jün¬
gere mir wohl gefiel und sie sich überhaupt
sehr anständig betrugen. Ich las manchmal
aus einem Roman etwas vor, und sie tha¬
ten das Gleiche. Die ältere, die so hübsch,
vielleicht noch hübscher war als die zweyte,
mir aber nicht so gut wie diese zusagte, be¬
trug sich durchaus gegen mich verbindlicher
und in allem gefälliger. Sie war in der
Stunde immer bey der Hand und zog sie
manchmal in die Länge; daher ich mich eini¬
gemal verpflichtet glaubte, dem Vater zwey
Billette anzubieten, die er jedoch nicht an¬
nahm. Die jüngere hingegen, ob sie gleich
nicht unfreundlich gegen mich that, war doch
eher still für sich, und ließ sich durch den
Vater herbeyrufen, um die ältere abzulösen.

Die Ursache davon ward mir eines Abends
deutlich. Denn als ich mit der ältesten, nach
vollendetem Tanz, in das Wohnzimmer gehen
wollte, hielt sie mich zurück und sagte: Blei¬

ganz gerne that, um ſo mehr als die juͤn¬
gere mir wohl gefiel und ſie ſich uͤberhaupt
ſehr anſtaͤndig betrugen. Ich las manchmal
aus einem Roman etwas vor, und ſie tha¬
ten das Gleiche. Die aͤltere, die ſo huͤbſch,
vielleicht noch huͤbſcher war als die zweyte,
mir aber nicht ſo gut wie dieſe zuſagte, be¬
trug ſich durchaus gegen mich verbindlicher
und in allem gefaͤlliger. Sie war in der
Stunde immer bey der Hand und zog ſie
manchmal in die Laͤnge; daher ich mich eini¬
gemal verpflichtet glaubte, dem Vater zwey
Billette anzubieten, die er jedoch nicht an¬
nahm. Die juͤngere hingegen, ob ſie gleich
nicht unfreundlich gegen mich that, war doch
eher ſtill fuͤr ſich, und ließ ſich durch den
Vater herbeyrufen, um die aͤltere abzuloͤſen.

Die Urſache davon ward mir eines Abends
deutlich. Denn als ich mit der aͤlteſten, nach
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[430/0438] ganz gerne that, um ſo mehr als die juͤn¬ gere mir wohl gefiel und ſie ſich uͤberhaupt ſehr anſtaͤndig betrugen. Ich las manchmal aus einem Roman etwas vor, und ſie tha¬ ten das Gleiche. Die aͤltere, die ſo huͤbſch, vielleicht noch huͤbſcher war als die zweyte, mir aber nicht ſo gut wie dieſe zuſagte, be¬ trug ſich durchaus gegen mich verbindlicher und in allem gefaͤlliger. Sie war in der Stunde immer bey der Hand und zog ſie manchmal in die Laͤnge; daher ich mich eini¬ gemal verpflichtet glaubte, dem Vater zwey Billette anzubieten, die er jedoch nicht an¬ nahm. Die juͤngere hingegen, ob ſie gleich nicht unfreundlich gegen mich that, war doch eher ſtill fuͤr ſich, und ließ ſich durch den Vater herbeyrufen, um die aͤltere abzuloͤſen. Die Urſache davon ward mir eines Abends deutlich. Denn als ich mit der aͤlteſten, nach vollendetem Tanz, in das Wohnzimmer gehen wollte, hielt ſie mich zuruͤck und ſagte: Blei¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/438>, abgerufen am 24.11.2024.