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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Kölln und den zu Freyburg betrachtet und
den Werth dieser Gebäude immer mehr em¬
pfunden; so könnte ich mich tadeln, daß ich
sie nachher ganz aus den Augen verloren,
ja, durch eine entwickeltere Kunst angezogen,
völlig im Hintergrunde gelassen. Sehe ich
nun aber in der neusten Zeit die Aufmerk¬
samkeit wieder auf jene Gegenstände hinge¬
lenkt, Neigung, ja Leidenschaft gegen sie her¬
vortreten und blühen, sehe ich tüchtige junge
Leute, von ihr ergriffen, Kräfte, Zeit, Sorg¬
falt, Vermögen diesen Denkmalen einer ver¬
gangenen Welt rücksichtlos widmen; so werde
ich mit Vergnügen erinnert, daß das was
ich sonst wollte und wünschte einen Werth
hatte. Mit Zufriedenheit sehe ich, wie man
nicht allein das von unsern Vorvordern Ge¬
leistete zu schätzen weiß, sondern wie man so¬
gar aus vorhandenen unausgeführten Anfän¬
gen, wenigstens im Bilde, die erste Absicht
darzustellen sucht, um uns dadurch mit dem
Gedanken, welcher doch das Erste und Letzte

Koͤlln und den zu Freyburg betrachtet und
den Werth dieſer Gebaͤude immer mehr em¬
pfunden; ſo koͤnnte ich mich tadeln, daß ich
ſie nachher ganz aus den Augen verloren,
ja, durch eine entwickeltere Kunſt angezogen,
voͤllig im Hintergrunde gelaſſen. Sehe ich
nun aber in der neuſten Zeit die Aufmerk¬
ſamkeit wieder auf jene Gegenſtaͤnde hinge¬
lenkt, Neigung, ja Leidenſchaft gegen ſie her¬
vortreten und bluͤhen, ſehe ich tuͤchtige junge
Leute, von ihr ergriffen, Kraͤfte, Zeit, Sorg¬
falt, Vermoͤgen dieſen Denkmalen einer ver¬
gangenen Welt ruͤckſichtlos widmen; ſo werde
ich mit Vergnuͤgen erinnert, daß das was
ich ſonſt wollte und wuͤnſchte einen Werth
hatte. Mit Zufriedenheit ſehe ich, wie man
nicht allein das von unſern Vorvordern Ge¬
leiſtete zu ſchaͤtzen weiß, ſondern wie man ſo¬
gar aus vorhandenen unausgefuͤhrten Anfaͤn¬
gen, wenigſtens im Bilde, die erſte Abſicht
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Gedanken, welcher doch das Erſte und Letzte

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[422/0430] Koͤlln und den zu Freyburg betrachtet und den Werth dieſer Gebaͤude immer mehr em¬ pfunden; ſo koͤnnte ich mich tadeln, daß ich ſie nachher ganz aus den Augen verloren, ja, durch eine entwickeltere Kunſt angezogen, voͤllig im Hintergrunde gelaſſen. Sehe ich nun aber in der neuſten Zeit die Aufmerk¬ ſamkeit wieder auf jene Gegenſtaͤnde hinge¬ lenkt, Neigung, ja Leidenſchaft gegen ſie her¬ vortreten und bluͤhen, ſehe ich tuͤchtige junge Leute, von ihr ergriffen, Kraͤfte, Zeit, Sorg¬ falt, Vermoͤgen dieſen Denkmalen einer ver¬ gangenen Welt ruͤckſichtlos widmen; ſo werde ich mit Vergnuͤgen erinnert, daß das was ich ſonſt wollte und wuͤnſchte einen Werth hatte. Mit Zufriedenheit ſehe ich, wie man nicht allein das von unſern Vorvordern Ge¬ leiſtete zu ſchaͤtzen weiß, ſondern wie man ſo¬ gar aus vorhandenen unausgefuͤhrten Anfaͤn¬ gen, wenigſtens im Bilde, die erſte Abſicht darzuſtellen ſucht, um uns dadurch mit dem Gedanken, welcher doch das Erſte und Letzte

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/430>, abgerufen am 24.11.2024.