mal zu halten haben, und beginnen mit Ernst eine Darstellung, wie so widersprechende Ele¬ mente sich friedlich durchdringen und verbin¬ den konnten.
Vor allem widmen wir unsere Betrach¬ tungen, ohne noch an die Thürme zu denken, allein der Facade, die als ein aufrecht gestell¬ tes längliches Viereck unsern Augen mächtig entgegnet. Nähern wir uns derselben in der Dämmerung, bey Mondschein, bey stern¬ heller Nacht, wo die Theile mehr oder weni¬ ger undeutlich werden und zuletzt verschwin¬ den; so sehen wir nur eine colossale Wand, deren Höhe zur Breite ein wohlthätiges Ver¬ hältniß hat. Betrachten wir sie bey Tage und abstrahiren durch Kraft unseres Geistes vom Einzelnen; so erkennen wir die Vorder¬ seite eines Gebäudes, welche dessen innere Räume nicht allein zuschließt, sondern auch manches Danebenliegende verdeckt. Die Oeff¬ nungen dieser ungeheueren Fläche deuten auf
mal zu halten haben, und beginnen mit Ernſt eine Darſtellung, wie ſo widerſprechende Ele¬ mente ſich friedlich durchdringen und verbin¬ den konnten.
Vor allem widmen wir unſere Betrach¬ tungen, ohne noch an die Thuͤrme zu denken, allein der Façade, die als ein aufrecht geſtell¬ tes laͤngliches Viereck unſern Augen maͤchtig entgegnet. Naͤhern wir uns derſelben in der Daͤmmerung, bey Mondſchein, bey ſtern¬ heller Nacht, wo die Theile mehr oder weni¬ ger undeutlich werden und zuletzt verſchwin¬ den; ſo ſehen wir nur eine coloſſale Wand, deren Hoͤhe zur Breite ein wohlthaͤtiges Ver¬ haͤltniß hat. Betrachten wir ſie bey Tage und abſtrahiren durch Kraft unſeres Geiſtes vom Einzelnen; ſo erkennen wir die Vorder¬ ſeite eines Gebaͤudes, welche deſſen innere Raͤume nicht allein zuſchließt, ſondern auch manches Danebenliegende verdeckt. Die Oeff¬ nungen dieſer ungeheueren Flaͤche deuten auf
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mal zu halten haben, und beginnen mit Ernſt
eine Darſtellung, wie ſo widerſprechende Ele¬
mente ſich friedlich durchdringen und verbin¬
den konnten.
Vor allem widmen wir unſere Betrach¬
tungen, ohne noch an die Thuͤrme zu denken,
allein der Façade, die als ein aufrecht geſtell¬
tes laͤngliches Viereck unſern Augen maͤchtig
entgegnet. Naͤhern wir uns derſelben in der
Daͤmmerung, bey Mondſchein, bey ſtern¬
heller Nacht, wo die Theile mehr oder weni¬
ger undeutlich werden und zuletzt verſchwin¬
den; ſo ſehen wir nur eine coloſſale Wand,
deren Hoͤhe zur Breite ein wohlthaͤtiges Ver¬
haͤltniß hat. Betrachten wir ſie bey Tage
und abſtrahiren durch Kraft unſeres Geiſtes
vom Einzelnen; ſo erkennen wir die Vorder¬
ſeite eines Gebaͤudes, welche deſſen innere
Raͤume nicht allein zuſchließt, ſondern auch
manches Danebenliegende verdeckt. Die Oeff¬
nungen dieſer ungeheueren Flaͤche deuten auf
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/418>, abgerufen am 26.11.2024.
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