ten eingetreten wäre. Unter allen jedoch war ich derjenige, der sich am meisten an ihn an¬ schloß, und er nicht weniger geneigt sich mit mir zu unterhalten, weil er mich mannigfal¬ tiger gebildet fand als die übrigen und nicht so einseitig im Urtheil. Auch richtete ich mich im Aeußern nach ihm, damit er mich für seinen Gesellen und Genossen öffentlich ohne Verlegenheit erklären konnte: denn ob er gleich nur eine Stelle bekleidete, die von ge¬ ringem Einfluß zu seyn scheint, so versah er sie doch auf eine Weise, die ihm zur größten Eh¬ re gereichte. Er war Actuarius beym Pupil¬ len-Collegium und hatte freylich daselbst, wie der perpetuirliche Secretair einer Academie, eigentlich das Heft in Händen. Indem er nun dieses Geschäft viele Jahre lang auf das genauste besorgte, so gab es keine Familie von der ersten bis zu der letzten, die ihm nicht Dank schuldig gewesen wäre; wie denn beynahe in der ganzen Staatsverwaltung kaum Je¬ mand mehr Segen oder Fluch ärndten kann,
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ten eingetreten waͤre. Unter allen jedoch war ich derjenige, der ſich am meiſten an ihn an¬ ſchloß, und er nicht weniger geneigt ſich mit mir zu unterhalten, weil er mich mannigfal¬ tiger gebildet fand als die uͤbrigen und nicht ſo einſeitig im Urtheil. Auch richtete ich mich im Aeußern nach ihm, damit er mich fuͤr ſeinen Geſellen und Genoſſen oͤffentlich ohne Verlegenheit erklaͤren konnte: denn ob er gleich nur eine Stelle bekleidete, die von ge¬ ringem Einfluß zu ſeyn ſcheint, ſo verſah er ſie doch auf eine Weiſe, die ihm zur groͤßten Eh¬ re gereichte. Er war Actuarius beym Pupil¬ len-Collegium und hatte freylich daſelbſt, wie der perpetuirliche Secretair einer Academie, eigentlich das Heft in Haͤnden. Indem er nun dieſes Geſchaͤft viele Jahre lang auf das genauſte beſorgte, ſo gab es keine Familie von der erſten bis zu der letzten, die ihm nicht Dank ſchuldig geweſen waͤre; wie denn beynahe in der ganzen Staatsverwaltung kaum Je¬ mand mehr Segen oder Fluch aͤrndten kann,
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ten eingetreten waͤre. Unter allen jedoch war
ich derjenige, der ſich am meiſten an ihn an¬
ſchloß, und er nicht weniger geneigt ſich mit
mir zu unterhalten, weil er mich mannigfal¬
tiger gebildet fand als die uͤbrigen und nicht
ſo einſeitig im Urtheil. Auch richtete ich mich
im Aeußern nach ihm, damit er mich fuͤr
ſeinen Geſellen und Genoſſen oͤffentlich ohne
Verlegenheit erklaͤren konnte: denn ob er
gleich nur eine Stelle bekleidete, die von ge¬
ringem Einfluß zu ſeyn ſcheint, ſo verſah er ſie
doch auf eine Weiſe, die ihm zur groͤßten Eh¬
re gereichte. Er war Actuarius beym Pupil¬
len-Collegium und hatte freylich daſelbſt, wie
der perpetuirliche Secretair einer Academie,
eigentlich das Heft in Haͤnden. Indem er
nun dieſes Geſchaͤft viele Jahre lang auf das
genauſte beſorgte, ſo gab es keine Familie
von der erſten bis zu der letzten, die ihm nicht
Dank ſchuldig geweſen waͤre; wie denn beynahe
in der ganzen Staatsverwaltung kaum Je¬
mand mehr Segen oder Fluch aͤrndten kann,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/379>, abgerufen am 27.11.2024.
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