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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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das Ganze inwendig ausgeschlagen hatte. Hier
sah ich zum ersten Mal ein Exemplar je¬
ner nach Raphaels Cartonen gewirkten Tep¬
piche, und dieser Anblick war für mich von
ganz entschiedener Wirkung, indem ich das
Rechte und Vollkommene, obgleich nur nach¬
gebildet, in Masse kennen lernte. Ich ging
und kam und kam und ging, und konnte
mich nicht satt sehen; ja ein vergebliches
Streben quälte mich, weil ich das was mich
so außerordentlich ansprach auch gern begrif¬
fen hätte. Höchst erfreulich und erquick¬
lich fand ich diese Nebensäle, desto schreck¬
licher aber den Hauptsaal. Diesen hatte man
mit viel größern, glänzendern, reichern und
von gedrängten Zierraten umgebenen Haute¬
lissen behängt, die nach Gemälden neuerer
Franzosen gewirkt waren.

Nun hätte ich mich wohl auch mit dieser
Manier befreundet, weil meine Empfindung
wie mein Urtheil nicht leicht etwas völlig aus¬

das Ganze inwendig ausgeſchlagen hatte. Hier
ſah ich zum erſten Mal ein Exemplar je¬
ner nach Raphaels Cartonen gewirkten Tep¬
piche, und dieſer Anblick war fuͤr mich von
ganz entſchiedener Wirkung, indem ich das
Rechte und Vollkommene, obgleich nur nach¬
gebildet, in Maſſe kennen lernte. Ich ging
und kam und kam und ging, und konnte
mich nicht ſatt ſehen; ja ein vergebliches
Streben quaͤlte mich, weil ich das was mich
ſo außerordentlich anſprach auch gern begrif¬
fen haͤtte. Hoͤchſt erfreulich und erquick¬
lich fand ich dieſe Nebenſaͤle, deſto ſchreck¬
licher aber den Hauptſaal. Dieſen hatte man
mit viel groͤßern, glaͤnzendern, reichern und
von gedraͤngten Zierraten umgebenen Haute¬
liſſen behaͤngt, die nach Gemaͤlden neuerer
Franzoſen gewirkt waren.

Nun haͤtte ich mich wohl auch mit dieſer
Manier befreundet, weil meine Empfindung
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[361/0369] das Ganze inwendig ausgeſchlagen hatte. Hier ſah ich zum erſten Mal ein Exemplar je¬ ner nach Raphaels Cartonen gewirkten Tep¬ piche, und dieſer Anblick war fuͤr mich von ganz entſchiedener Wirkung, indem ich das Rechte und Vollkommene, obgleich nur nach¬ gebildet, in Maſſe kennen lernte. Ich ging und kam und kam und ging, und konnte mich nicht ſatt ſehen; ja ein vergebliches Streben quaͤlte mich, weil ich das was mich ſo außerordentlich anſprach auch gern begrif¬ fen haͤtte. Hoͤchſt erfreulich und erquick¬ lich fand ich dieſe Nebenſaͤle, deſto ſchreck¬ licher aber den Hauptſaal. Dieſen hatte man mit viel groͤßern, glaͤnzendern, reichern und von gedraͤngten Zierraten umgebenen Haute¬ liſſen behaͤngt, die nach Gemaͤlden neuerer Franzoſen gewirkt waren. Nun haͤtte ich mich wohl auch mit dieſer Manier befreundet, weil meine Empfindung wie mein Urtheil nicht leicht etwas voͤllig aus¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/369>, abgerufen am 26.11.2024.