gemeiner encyclopädischer Ueberblick, und nicht als eigentliche bestimmte Kenntniß gelten konn¬ te. Das academische Leben, wenn wir uns auch bey demselben des eigentlichen Fleißes nicht zu rühmen haben, gewährt doch in je¬ der Art von Ausbildung unendliche Vortheile, weil wir stets von Menschen umgeben sind, welche die Wissenschaft besitzen oder suchen, so daß wir aus einer solchen Atmosphäre, wenn auch unbewußt, immer einige Nah¬ rung ziehen.
Mein Repetent, nachdem er mit meinem Umhervagiren im Discurse einige Zeit Ge¬ duld gehabt, machte mir zuletzt begreiflich, daß ich vor allen Dingen meine nächste Ab¬ sicht im Auge behalten müsse, die nämlich, mich examiniren zu lassen, zu promoviren und alsdann allenfalls in die Praxis überzugehen. Um bey dem ersten stehen zu bleiben, sagte er, so wird die Sache keineswegs im Weiten gesucht. Es wird nicht nachgefragt, wie und
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gemeiner encyclopaͤdiſcher Ueberblick, und nicht als eigentliche beſtimmte Kenntniß gelten konn¬ te. Das academiſche Leben, wenn wir uns auch bey demſelben des eigentlichen Fleißes nicht zu ruͤhmen haben, gewaͤhrt doch in je¬ der Art von Ausbildung unendliche Vortheile, weil wir ſtets von Menſchen umgeben ſind, welche die Wiſſenſchaft beſitzen oder ſuchen, ſo daß wir aus einer ſolchen Atmoſphaͤre, wenn auch unbewußt, immer einige Nah¬ rung ziehen.
Mein Repetent, nachdem er mit meinem Umhervagiren im Discurſe einige Zeit Ge¬ duld gehabt, machte mir zuletzt begreiflich, daß ich vor allen Dingen meine naͤchſte Ab¬ ſicht im Auge behalten muͤſſe, die naͤmlich, mich examiniren zu laſſen, zu promoviren und alsdann allenfalls in die Praxis uͤberzugehen. Um bey dem erſten ſtehen zu bleiben, ſagte er, ſo wird die Sache keineswegs im Weiten geſucht. Es wird nicht nachgefragt, wie und
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gemeiner encyclopaͤdiſcher Ueberblick, und nicht
als eigentliche beſtimmte Kenntniß gelten konn¬
te. Das academiſche Leben, wenn wir uns
auch bey demſelben des eigentlichen Fleißes
nicht zu ruͤhmen haben, gewaͤhrt doch in je¬
der Art von Ausbildung unendliche Vortheile,
weil wir ſtets von Menſchen umgeben ſind,
welche die Wiſſenſchaft beſitzen oder ſuchen,
ſo daß wir aus einer ſolchen Atmoſphaͤre,
wenn auch unbewußt, immer einige Nah¬
rung ziehen.
Mein Repetent, nachdem er mit meinem
Umhervagiren im Discurſe einige Zeit Ge¬
duld gehabt, machte mir zuletzt begreiflich,
daß ich vor allen Dingen meine naͤchſte Ab¬
ſicht im Auge behalten muͤſſe, die naͤmlich,
mich examiniren zu laſſen, zu promoviren und
alsdann allenfalls in die Praxis uͤberzugehen.
Um bey dem erſten ſtehen zu bleiben, ſagte
er, ſo wird die Sache keineswegs im Weiten
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/363>, abgerufen am 25.11.2024.
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