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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Gestalten hervorgebracht werden könne. Meine
Freundinn hatte auf diese lockenden Worte ge¬
horcht. Das Heil des Körpers war zu nahe
mit dem Heil der Seele verwandt; und könnte
je eine größere Wohlthat, eine größere Barm¬
herzigkeit auch an Andern ausgeübt werden,
als wenn man sich ein Mittel zu eigen mach¬
te, wodurch so manches Leiden gestillt, so
manche Gefahr abgelehnt werden könnte? Sie
hatte schon ins Geheim Wellings Opus
mago-cabalisticum
studirt, wobey sie jedoch,
weil der Autor das Licht was er mittheilt so¬
gleich wieder selbst verfinstert und aufhebt,
sich nach einem Freunde umsah, der ihr in
diesem Wechsel von Licht und Finsterniß Gesell¬
schaft leistete. Es bedurfte nur einer geringen
Anregung, um auch mir diese Krankheit zu in¬
oculiren. Ich schaffte das Werk an, das, wie
alle Schriften dieser Art, seinen Stammbaum
in gerader Linie bis zur Neuplatonischen Schule
verfolgen konnte. Meine vorzüglichste Bemü¬
hung an diesem Buche war, die dunklen Hin¬

Geſtalten hervorgebracht werden koͤnne. Meine
Freundinn hatte auf dieſe lockenden Worte ge¬
horcht. Das Heil des Koͤrpers war zu nahe
mit dem Heil der Seele verwandt; und koͤnnte
je eine groͤßere Wohlthat, eine groͤßere Barm¬
herzigkeit auch an Andern ausgeuͤbt werden,
als wenn man ſich ein Mittel zu eigen mach¬
te, wodurch ſo manches Leiden geſtillt, ſo
manche Gefahr abgelehnt werden koͤnnte? Sie
hatte ſchon ins Geheim Wellings Opus
mago-cabaliſticum
ſtudirt, wobey ſie jedoch,
weil der Autor das Licht was er mittheilt ſo¬
gleich wieder ſelbſt verfinſtert und aufhebt,
ſich nach einem Freunde umſah, der ihr in
dieſem Wechſel von Licht und Finſterniß Geſell¬
ſchaft leiſtete. Es bedurfte nur einer geringen
Anregung, um auch mir dieſe Krankheit zu in¬
oculiren. Ich ſchaffte das Werk an, das, wie
alle Schriften dieſer Art, ſeinen Stammbaum
in gerader Linie bis zur Neuplatoniſchen Schule
verfolgen konnte. Meine vorzuͤglichſte Bemuͤ¬
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[309/0317] Geſtalten hervorgebracht werden koͤnne. Meine Freundinn hatte auf dieſe lockenden Worte ge¬ horcht. Das Heil des Koͤrpers war zu nahe mit dem Heil der Seele verwandt; und koͤnnte je eine groͤßere Wohlthat, eine groͤßere Barm¬ herzigkeit auch an Andern ausgeuͤbt werden, als wenn man ſich ein Mittel zu eigen mach¬ te, wodurch ſo manches Leiden geſtillt, ſo manche Gefahr abgelehnt werden koͤnnte? Sie hatte ſchon ins Geheim Wellings Opus mago-cabaliſticum ſtudirt, wobey ſie jedoch, weil der Autor das Licht was er mittheilt ſo¬ gleich wieder ſelbſt verfinſtert und aufhebt, ſich nach einem Freunde umſah, der ihr in dieſem Wechſel von Licht und Finſterniß Geſell¬ ſchaft leiſtete. Es bedurfte nur einer geringen Anregung, um auch mir dieſe Krankheit zu in¬ oculiren. Ich ſchaffte das Werk an, das, wie alle Schriften dieſer Art, ſeinen Stammbaum in gerader Linie bis zur Neuplatoniſchen Schule verfolgen konnte. Meine vorzuͤglichſte Bemuͤ¬ hung an dieſem Buche war, die dunklen Hin¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/317>, abgerufen am 24.11.2024.