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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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Dingen höchst verdrießliche Aussichten auf je¬
den neuen Tag geben mußte. Arzt und Chi¬
rurgus gehörten auch unter die abgesonderten
Frommen, obgleich beyde von höchst verschie¬
denem Naturell waren. Der Chirurgus, ein
schlanker wohlgebildeter Mann von leichter
und geschickter Hand, der, leider etwas hec¬
tisch, seinen Zustand mit wahrhaft christlicher
Geduld ertrug, und sich in seinem Berufe
durch sein Uebel nicht irre machen ließ. Der
Arzt, ein unerklärlicher, schlaublickender, freund¬
lich sprechender, übrigens abstruser Mann, der
sich in dem frommen Kreise ein ganz besonderes
Zutrauen erworben hatte. Thätig und auf¬
merksam war er den Kranken tröstlich; mehr
aber als durch alles erweiterte er seine Kund¬
schaft durch die Gabe, einige geheimni߬
volle selbstbereitete Arzneyen im Hintergrunde
zu zeigen, von denen Niemand sprechen durfte,
weil bey uns den Aerzten die eigene Dispen¬
sation streng verboten war. Mit gewissen
Pulvern, die irgend ein Digestiv seyn mochten,

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Dingen hoͤchſt verdrießliche Ausſichten auf je¬
den neuen Tag geben mußte. Arzt und Chi¬
rurgus gehoͤrten auch unter die abgeſonderten
Frommen, obgleich beyde von hoͤchſt verſchie¬
denem Naturell waren. Der Chirurgus, ein
ſchlanker wohlgebildeter Mann von leichter
und geſchickter Hand, der, leider etwas hec¬
tiſch, ſeinen Zuſtand mit wahrhaft chriſtlicher
Geduld ertrug, und ſich in ſeinem Berufe
durch ſein Uebel nicht irre machen ließ. Der
Arzt, ein unerklaͤrlicher, ſchlaublickender, freund¬
lich ſprechender, uͤbrigens abſtruſer Mann, der
ſich in dem frommen Kreiſe ein ganz beſonderes
Zutrauen erworben hatte. Thaͤtig und auf¬
merkſam war er den Kranken troͤſtlich; mehr
aber als durch alles erweiterte er ſeine Kund¬
ſchaft durch die Gabe, einige geheimni߬
volle ſelbſtbereitete Arzneyen im Hintergrunde
zu zeigen, von denen Niemand ſprechen durfte,
weil bey uns den Aerzten die eigene Dispen¬
ſation ſtreng verboten war. Mit gewiſſen
Pulvern, die irgend ein Digeſtiv ſeyn mochten,

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[307/0315] Dingen hoͤchſt verdrießliche Ausſichten auf je¬ den neuen Tag geben mußte. Arzt und Chi¬ rurgus gehoͤrten auch unter die abgeſonderten Frommen, obgleich beyde von hoͤchſt verſchie¬ denem Naturell waren. Der Chirurgus, ein ſchlanker wohlgebildeter Mann von leichter und geſchickter Hand, der, leider etwas hec¬ tiſch, ſeinen Zuſtand mit wahrhaft chriſtlicher Geduld ertrug, und ſich in ſeinem Berufe durch ſein Uebel nicht irre machen ließ. Der Arzt, ein unerklaͤrlicher, ſchlaublickender, freund¬ lich ſprechender, uͤbrigens abſtruſer Mann, der ſich in dem frommen Kreiſe ein ganz beſonderes Zutrauen erworben hatte. Thaͤtig und auf¬ merkſam war er den Kranken troͤſtlich; mehr aber als durch alles erweiterte er ſeine Kund¬ ſchaft durch die Gabe, einige geheimni߬ volle ſelbſtbereitete Arzneyen im Hintergrunde zu zeigen, von denen Niemand ſprechen durfte, weil bey uns den Aerzten die eigene Dispen¬ ſation ſtreng verboten war. Mit gewiſſen Pulvern, die irgend ein Digeſtiv ſeyn mochten, 20 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/315>, abgerufen am 24.11.2024.