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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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lassener Lustigkeit und melancholischem Unbe¬
hagen. Ferner war damals die Epoche des
Kaltbadens eingetreten, welches unbedingt em¬
pfohlen ward. Man sollte auf hartem Lager
schlafen, nur leicht zugedeckt, wodurch denn
alle gewohnte Ausdünstung unterdrückt wurde.
Diese und andere Thorheiten, in Gefolg von
misverstandenen Anregungen Rousseau's, wür¬
den uns, wie man versprach, der Natur näher
führen und uns aus dem Verderbnisse der Sit¬
ten retten. Alles Obige nun, ohne Unterschei¬
dung, mit unvernünftigem Wechsel angewendet,
empfanden mehrere als das Schädlichste, und
ich verhetzte meinen glücklichen Organismus der¬
gestalt, daß die darin enthaltenen besondern
Systeme zuletzt in eine Verschwörung und
Revolution ausbrechen mußten, um das Gan¬
ze zu retten.

Eines Nachts wachte ich mit einem hefti¬
gen Blutsturz auf, und hatte noch so viel
Kraft und Besinnung, meinen Stubennachbar

laſſener Luſtigkeit und melancholiſchem Unbe¬
hagen. Ferner war damals die Epoche des
Kaltbadens eingetreten, welches unbedingt em¬
pfohlen ward. Man ſollte auf hartem Lager
ſchlafen, nur leicht zugedeckt, wodurch denn
alle gewohnte Ausduͤnſtung unterdruͤckt wurde.
Dieſe und andere Thorheiten, in Gefolg von
misverſtandenen Anregungen Rouſſeau's, wuͤr¬
den uns, wie man verſprach, der Natur naͤher
fuͤhren und uns aus dem Verderbniſſe der Sit¬
ten retten. Alles Obige nun, ohne Unterſchei¬
dung, mit unvernuͤnftigem Wechſel angewendet,
empfanden mehrere als das Schaͤdlichſte, und
ich verhetzte meinen gluͤcklichen Organismus der¬
geſtalt, daß die darin enthaltenen beſondern
Syſteme zuletzt in eine Verſchwoͤrung und
Revolution ausbrechen mußten, um das Gan¬
ze zu retten.

Eines Nachts wachte ich mit einem hefti¬
gen Blutſturz auf, und hatte noch ſo viel
Kraft und Beſinnung, meinen Stubennachbar

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[282/0290] laſſener Luſtigkeit und melancholiſchem Unbe¬ hagen. Ferner war damals die Epoche des Kaltbadens eingetreten, welches unbedingt em¬ pfohlen ward. Man ſollte auf hartem Lager ſchlafen, nur leicht zugedeckt, wodurch denn alle gewohnte Ausduͤnſtung unterdruͤckt wurde. Dieſe und andere Thorheiten, in Gefolg von misverſtandenen Anregungen Rouſſeau's, wuͤr¬ den uns, wie man verſprach, der Natur naͤher fuͤhren und uns aus dem Verderbniſſe der Sit¬ ten retten. Alles Obige nun, ohne Unterſchei¬ dung, mit unvernuͤnftigem Wechſel angewendet, empfanden mehrere als das Schaͤdlichſte, und ich verhetzte meinen gluͤcklichen Organismus der¬ geſtalt, daß die darin enthaltenen beſondern Syſteme zuletzt in eine Verſchwoͤrung und Revolution ausbrechen mußten, um das Gan¬ ze zu retten. Eines Nachts wachte ich mit einem hefti¬ gen Blutſturz auf, und hatte noch ſo viel Kraft und Beſinnung, meinen Stubennachbar

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/290>, abgerufen am 22.11.2024.