heraus an die Welt trat, in der lichten und mageren Umgebung, ein solches Gefühl bey mir wieder zu erregen; ja kaum die Erinne¬ rung davon vermochte ich zu erhalten. Mein Herz war jedoch zu verwöhnt, als daß es sich hätte beruhigen können: es hatte geliebt, der Gegenstand war ihm entrissen; es hatte ge¬ lebt, und das Leben war ihm verkümmert. Ein Freund, der es zu deutlich merken läßt, daß er an euch zu bilden gedenkt, erregt kein Behagen; indessen eine Frau, die euch bildet, indem sie euch zu verwöhnen scheint, wie ein himmlisches, freudebringendes Wesen angebe¬ tet wird. Aber jene Gestalt, an der sich der Begriff des Schönen mir hervorthat, war in die Ferne weggeschwunden; sie besuchte mich oft unter den Schatten meiner Eichen, aber ich konnte sie nicht festhalten, und ich fühlte einen gewaltigen Trieb, etwas Aehnliches in der Weite zu suchen.
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heraus an die Welt trat, in der lichten und mageren Umgebung, ein ſolches Gefuͤhl bey mir wieder zu erregen; ja kaum die Erinne¬ rung davon vermochte ich zu erhalten. Mein Herz war jedoch zu verwoͤhnt, als daß es ſich haͤtte beruhigen koͤnnen: es hatte geliebt, der Gegenſtand war ihm entriſſen; es hatte ge¬ lebt, und das Leben war ihm verkuͤmmert. Ein Freund, der es zu deutlich merken laͤßt, daß er an euch zu bilden gedenkt, erregt kein Behagen; indeſſen eine Frau, die euch bildet, indem ſie euch zu verwoͤhnen ſcheint, wie ein himmliſches, freudebringendes Weſen angebe¬ tet wird. Aber jene Geſtalt, an der ſich der Begriff des Schoͤnen mir hervorthat, war in die Ferne weggeſchwunden; ſie beſuchte mich oft unter den Schatten meiner Eichen, aber ich konnte ſie nicht feſthalten, und ich fuͤhlte einen gewaltigen Trieb, etwas Aehnliches in der Weite zu ſuchen.
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[19/0027]
heraus an die Welt trat, in der lichten und
mageren Umgebung, ein ſolches Gefuͤhl bey
mir wieder zu erregen; ja kaum die Erinne¬
rung davon vermochte ich zu erhalten. Mein
Herz war jedoch zu verwoͤhnt, als daß es ſich
haͤtte beruhigen koͤnnen: es hatte geliebt, der
Gegenſtand war ihm entriſſen; es hatte ge¬
lebt, und das Leben war ihm verkuͤmmert.
Ein Freund, der es zu deutlich merken laͤßt,
daß er an euch zu bilden gedenkt, erregt kein
Behagen; indeſſen eine Frau, die euch bildet,
indem ſie euch zu verwoͤhnen ſcheint, wie ein
himmliſches, freudebringendes Weſen angebe¬
tet wird. Aber jene Geſtalt, an der ſich der
Begriff des Schoͤnen mir hervorthat, war in
die Ferne weggeſchwunden; ſie beſuchte mich
oft unter den Schatten meiner Eichen, aber
ich konnte ſie nicht feſthalten, und ich fuͤhlte
einen gewaltigen Trieb, etwas Aehnliches in
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/27>, abgerufen am 29.01.2025.
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