Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

daß er jedoch dessen Besitz von sich selbst we¬
der erringen, noch ergreifen könne, durch gei¬
stige Erbschaft auf Erden erhalten und ver¬
ewigt werden. Ja, in der Weihe des Prie¬
sters ist alles zusammengefaßt, was nöthig ist,
um diejenigen heiligen Handlungen wirksam
zu begehen, wodurch die Menge begünstigt
wird, ohne daß sie irgend eine andere Thä¬
tigkeit dabey nöthig hätte, als die des Glau¬
bens und des unbedingten Zutrauens. Und
so tritt der Priester in der Reihe seiner Vor¬
fahren und Nachfolger, in dem Kreise seiner
Mitgesalbten, den höchsten Segnenden dar¬
stellend, um so herrlicher auf, als es nicht
er ist, den wir verehren, sondern sein Amt,
nicht sein Wink, vor dem wir die Kniee beu¬
gen, sondern der Segen, den er ertheilt, und
der um desto heiliger, unmittelbarer vom
Himmel zu kommen scheint, weil ihn das ir¬
dische Werkzeug nicht einmal durch sündhaf¬
tes, ja lasterhaftes Wesen schwächen oder gar
entkräften könnte.

daß er jedoch deſſen Beſitz von ſich ſelbſt we¬
der erringen, noch ergreifen koͤnne, durch gei¬
ſtige Erbſchaft auf Erden erhalten und ver¬
ewigt werden. Ja, in der Weihe des Prie¬
ſters iſt alles zuſammengefaßt, was noͤthig iſt,
um diejenigen heiligen Handlungen wirkſam
zu begehen, wodurch die Menge beguͤnſtigt
wird, ohne daß ſie irgend eine andere Thaͤ¬
tigkeit dabey noͤthig haͤtte, als die des Glau¬
bens und des unbedingten Zutrauens. Und
ſo tritt der Prieſter in der Reihe ſeiner Vor¬
fahren und Nachfolger, in dem Kreiſe ſeiner
Mitgeſalbten, den hoͤchſten Segnenden dar¬
ſtellend, um ſo herrlicher auf, als es nicht
er iſt, den wir verehren, ſondern ſein Amt,
nicht ſein Wink, vor dem wir die Kniee beu¬
gen, ſondern der Segen, den er ertheilt, und
der um deſto heiliger, unmittelbarer vom
Himmel zu kommen ſcheint, weil ihn das ir¬
diſche Werkzeug nicht einmal durch ſuͤndhaf¬
tes, ja laſterhaftes Weſen ſchwaͤchen oder gar
entkraͤften koͤnnte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0195" n="187"/>
daß er jedoch de&#x017F;&#x017F;en Be&#x017F;itz von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t we¬<lb/>
der erringen, noch ergreifen ko&#x0364;nne, durch gei¬<lb/>
&#x017F;tige Erb&#x017F;chaft auf Erden erhalten und ver¬<lb/>
ewigt werden. Ja, in der Weihe des Prie¬<lb/>
&#x017F;ters i&#x017F;t alles zu&#x017F;ammengefaßt, was no&#x0364;thig i&#x017F;t,<lb/>
um diejenigen heiligen Handlungen wirk&#x017F;am<lb/>
zu begehen, wodurch die Menge begu&#x0364;n&#x017F;tigt<lb/>
wird, ohne daß &#x017F;ie irgend eine andere Tha&#x0364;¬<lb/>
tigkeit dabey no&#x0364;thig ha&#x0364;tte, als die des Glau¬<lb/>
bens und des unbedingten Zutrauens. Und<lb/>
&#x017F;o tritt der Prie&#x017F;ter in der Reihe &#x017F;einer Vor¬<lb/>
fahren und Nachfolger, in dem Krei&#x017F;e &#x017F;einer<lb/>
Mitge&#x017F;albten, den ho&#x0364;ch&#x017F;ten Segnenden dar¬<lb/>
&#x017F;tellend, um &#x017F;o herrlicher auf, als es nicht<lb/>
er i&#x017F;t, den wir verehren, &#x017F;ondern &#x017F;ein Amt,<lb/>
nicht &#x017F;ein Wink, vor dem wir die Kniee beu¬<lb/>
gen, &#x017F;ondern der Segen, den er ertheilt, und<lb/>
der um de&#x017F;to heiliger, unmittelbarer vom<lb/>
Himmel zu kommen &#x017F;cheint, weil ihn das ir¬<lb/>
di&#x017F;che Werkzeug nicht einmal durch &#x017F;u&#x0364;ndhaf¬<lb/>
tes, ja la&#x017F;terhaftes We&#x017F;en &#x017F;chwa&#x0364;chen oder gar<lb/>
entkra&#x0364;ften ko&#x0364;nnte.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0195] daß er jedoch deſſen Beſitz von ſich ſelbſt we¬ der erringen, noch ergreifen koͤnne, durch gei¬ ſtige Erbſchaft auf Erden erhalten und ver¬ ewigt werden. Ja, in der Weihe des Prie¬ ſters iſt alles zuſammengefaßt, was noͤthig iſt, um diejenigen heiligen Handlungen wirkſam zu begehen, wodurch die Menge beguͤnſtigt wird, ohne daß ſie irgend eine andere Thaͤ¬ tigkeit dabey noͤthig haͤtte, als die des Glau¬ bens und des unbedingten Zutrauens. Und ſo tritt der Prieſter in der Reihe ſeiner Vor¬ fahren und Nachfolger, in dem Kreiſe ſeiner Mitgeſalbten, den hoͤchſten Segnenden dar¬ ſtellend, um ſo herrlicher auf, als es nicht er iſt, den wir verehren, ſondern ſein Amt, nicht ſein Wink, vor dem wir die Kniee beu¬ gen, ſondern der Segen, den er ertheilt, und der um deſto heiliger, unmittelbarer vom Himmel zu kommen ſcheint, weil ihn das ir¬ diſche Werkzeug nicht einmal durch ſuͤndhaf¬ tes, ja laſterhaftes Weſen ſchwaͤchen oder gar entkraͤften koͤnnte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/195
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/195>, abgerufen am 22.11.2024.