Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

einverleibt, daß es diese Wohlthat nur durch
den ungeheuersten Abfall verscherzen kann.
Das Kind übt sich im Leben an den irdischen
Dingen selbst heran, in himmlischen muß es
unterrichtet werden. Zeigt sich bey der Prü¬
fung, daß dieß vollständig geschehen sey, so
wird es nunmehr als wirklicher Bürger, als
wahrhafter und freywilliger Bekenner in den
Schoos der Kirche aufgenommen, nicht ohne
äußere Zeichen der Wichtigkeit dieser Hand¬
lung. Nun ist er erst entschieden ein Christ,
nun kennt er erst die Vortheile, jedoch auch
die Pflichten. Aber inzwischen ist ihm als
Menschen manches Wunderliche begegnet, durch
Lehren und Strafen ist ihm aufgegangen, wie
bedenklich es mit seinem Innern aussehe, und
immerfort wird noch von Lehren und von Ue¬
bertretungen die Rede seyn; aber die Strafe
soll nicht mehr Statt finden. Hier ist ihm
nun in der unendlichen Verworrenheit, in die
er sich, bey dem Widerstreit natürlicher und
religioser Forderungen, verwickeln muß, ein

einverleibt, daß es dieſe Wohlthat nur durch
den ungeheuerſten Abfall verſcherzen kann.
Das Kind uͤbt ſich im Leben an den irdiſchen
Dingen ſelbſt heran, in himmliſchen muß es
unterrichtet werden. Zeigt ſich bey der Pruͤ¬
fung, daß dieß vollſtaͤndig geſchehen ſey, ſo
wird es nunmehr als wirklicher Buͤrger, als
wahrhafter und freywilliger Bekenner in den
Schoos der Kirche aufgenommen, nicht ohne
aͤußere Zeichen der Wichtigkeit dieſer Hand¬
lung. Nun iſt er erſt entſchieden ein Chriſt,
nun kennt er erſt die Vortheile, jedoch auch
die Pflichten. Aber inzwiſchen iſt ihm als
Menſchen manches Wunderliche begegnet, durch
Lehren und Strafen iſt ihm aufgegangen, wie
bedenklich es mit ſeinem Innern ausſehe, und
immerfort wird noch von Lehren und von Ue¬
bertretungen die Rede ſeyn; aber die Strafe
ſoll nicht mehr Statt finden. Hier iſt ihm
nun in der unendlichen Verworrenheit, in die
er ſich, bey dem Widerſtreit natuͤrlicher und
religioſer Forderungen, verwickeln muß, ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0190" n="182"/>
einverleibt, daß es die&#x017F;e Wohlthat nur durch<lb/>
den ungeheuer&#x017F;ten Abfall ver&#x017F;cherzen kann.<lb/>
Das Kind u&#x0364;bt &#x017F;ich im Leben an den irdi&#x017F;chen<lb/>
Dingen &#x017F;elb&#x017F;t heran, in himmli&#x017F;chen muß es<lb/>
unterrichtet werden. Zeigt &#x017F;ich bey der Pru&#x0364;¬<lb/>
fung, daß dieß voll&#x017F;ta&#x0364;ndig ge&#x017F;chehen &#x017F;ey, &#x017F;o<lb/>
wird es nunmehr als wirklicher Bu&#x0364;rger, als<lb/>
wahrhafter und freywilliger Bekenner in den<lb/>
Schoos der Kirche aufgenommen, nicht ohne<lb/>
a&#x0364;ußere Zeichen der Wichtigkeit die&#x017F;er Hand¬<lb/>
lung. Nun i&#x017F;t er er&#x017F;t ent&#x017F;chieden ein Chri&#x017F;t,<lb/>
nun kennt er er&#x017F;t die Vortheile, jedoch auch<lb/>
die Pflichten. Aber inzwi&#x017F;chen i&#x017F;t ihm als<lb/>
Men&#x017F;chen manches Wunderliche begegnet, durch<lb/>
Lehren und Strafen i&#x017F;t ihm aufgegangen, wie<lb/>
bedenklich es mit &#x017F;einem Innern aus&#x017F;ehe, und<lb/>
immerfort wird noch von Lehren und von Ue¬<lb/>
bertretungen die Rede &#x017F;eyn; aber die Strafe<lb/>
&#x017F;oll nicht mehr Statt finden. Hier i&#x017F;t ihm<lb/>
nun in der unendlichen Verworrenheit, in die<lb/>
er &#x017F;ich, bey dem Wider&#x017F;treit natu&#x0364;rlicher und<lb/>
religio&#x017F;er Forderungen, verwickeln muß, ein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0190] einverleibt, daß es dieſe Wohlthat nur durch den ungeheuerſten Abfall verſcherzen kann. Das Kind uͤbt ſich im Leben an den irdiſchen Dingen ſelbſt heran, in himmliſchen muß es unterrichtet werden. Zeigt ſich bey der Pruͤ¬ fung, daß dieß vollſtaͤndig geſchehen ſey, ſo wird es nunmehr als wirklicher Buͤrger, als wahrhafter und freywilliger Bekenner in den Schoos der Kirche aufgenommen, nicht ohne aͤußere Zeichen der Wichtigkeit dieſer Hand¬ lung. Nun iſt er erſt entſchieden ein Chriſt, nun kennt er erſt die Vortheile, jedoch auch die Pflichten. Aber inzwiſchen iſt ihm als Menſchen manches Wunderliche begegnet, durch Lehren und Strafen iſt ihm aufgegangen, wie bedenklich es mit ſeinem Innern ausſehe, und immerfort wird noch von Lehren und von Ue¬ bertretungen die Rede ſeyn; aber die Strafe ſoll nicht mehr Statt finden. Hier iſt ihm nun in der unendlichen Verworrenheit, in die er ſich, bey dem Widerſtreit natuͤrlicher und religioſer Forderungen, verwickeln muß, ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/190
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/190>, abgerufen am 22.11.2024.