ich nichts gewann; und nun fühlte ich erst, daß ich sie wirklich liebte und daß ich sie nicht entbehren könne. Meine Leidenschaft wuchs und nahm alle Formen an, deren sie unter sol¬ chen Umständen fähig ist; ja zuletzt trat ich in die bisherige Rolle des Mädchens. Alles Mög¬ liche suchte ich hervor, um ihr gefällig zu seyn, ihr sogar durch Andere Freude zu verschaffen: denn ich konnte mir die Hoffnung, sie wieder zu gewinnen, nicht versagen. Allein es war zu spät! ich hatte sie wirklich verloren, und die Tollheit, mit der ich meinen Fehler an mir selbst rächte, indem ich auf mancherley unsin¬ nige Weise in meine physische Natur stürmte, um der sittlichen etwas zu Leide zu thun, hat sehr viel zu den körperlichen Uebeln beygetragen, unter denen ich einige der besten Jahre meines Lebens verlor; ja ich wäre vielleicht an diesem Verlust völlig zu Grunde gegangen, hätte sich nicht hier das poetische Talent mit seinen Heil¬ kräften besonders hülfreich erwiesen.
ich nichts gewann; und nun fuͤhlte ich erſt, daß ich ſie wirklich liebte und daß ich ſie nicht entbehren koͤnne. Meine Leidenſchaft wuchs und nahm alle Formen an, deren ſie unter ſol¬ chen Umſtaͤnden faͤhig iſt; ja zuletzt trat ich in die bisherige Rolle des Maͤdchens. Alles Moͤg¬ liche ſuchte ich hervor, um ihr gefaͤllig zu ſeyn, ihr ſogar durch Andere Freude zu verſchaffen: denn ich konnte mir die Hoffnung, ſie wieder zu gewinnen, nicht verſagen. Allein es war zu ſpaͤt! ich hatte ſie wirklich verloren, und die Tollheit, mit der ich meinen Fehler an mir ſelbſt raͤchte, indem ich auf mancherley unſin¬ nige Weiſe in meine phyſiſche Natur ſtuͤrmte, um der ſittlichen etwas zu Leide zu thun, hat ſehr viel zu den koͤrperlichen Uebeln beygetragen, unter denen ich einige der beſten Jahre meines Lebens verlor; ja ich waͤre vielleicht an dieſem Verluſt voͤllig zu Grunde gegangen, haͤtte ſich nicht hier das poetiſche Talent mit ſeinen Heil¬ kraͤften beſonders huͤlfreich erwieſen.
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ich nichts gewann; und nun fuͤhlte ich erſt,
daß ich ſie wirklich liebte und daß ich ſie nicht
entbehren koͤnne. Meine Leidenſchaft wuchs
und nahm alle Formen an, deren ſie unter ſol¬
chen Umſtaͤnden faͤhig iſt; ja zuletzt trat ich in
die bisherige Rolle des Maͤdchens. Alles Moͤg¬
liche ſuchte ich hervor, um ihr gefaͤllig zu ſeyn,
ihr ſogar durch Andere Freude zu verſchaffen:
denn ich konnte mir die Hoffnung, ſie wieder
zu gewinnen, nicht verſagen. Allein es war
zu ſpaͤt! ich hatte ſie wirklich verloren, und die
Tollheit, mit der ich meinen Fehler an mir
ſelbſt raͤchte, indem ich auf mancherley unſin¬
nige Weiſe in meine phyſiſche Natur ſtuͤrmte,
um der ſittlichen etwas zu Leide zu thun, hat
ſehr viel zu den koͤrperlichen Uebeln beygetragen,
unter denen ich einige der beſten Jahre meines
Lebens verlor; ja ich waͤre vielleicht an dieſem
Verluſt voͤllig zu Grunde gegangen, haͤtte ſich
nicht hier das poetiſche Talent mit ſeinen Heil¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/177>, abgerufen am 22.11.2024.
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