Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite

Jedermann angezogen und das Leben mit
ihm erleichtert hätte. Daß dieser durch Leip¬
zig kommen würde war mir angekündigt, und
ich erwartete ihn mit Sehnsucht. Er kam
und trat in einem kleinen Gast- oder Wein¬
hause ab, das im Brühl lag und dessen
Wirth Schönkopf hieß. Dieser hatte eine
Frankfurterinn zur Frau, und ob er gleich
die übrige Zeit des Jahres wenig Personen
bewirthete, und in das kleine Haus keine
Gäste aufnehmen konnte; so war er doch
Messenzeits von vielen Frankfurtern besucht,
welche dort zu speisen und im Nothfall auch
wohl Quartier zu nehmen pflegten. Dorthin
eilte ich, um Schlossern aufzusuchen, als er
mir seine Ankunft melden ließ. Ich erinner¬
te mich kaum, ihn früher gesehen zu haben,
und fand einen jungen, wohlgebauten Mann,
mit einem runden zusammengefaßten Gesicht,
ohne daß die Züge deshalb stumpf gewesen
wären. Die Form seiner gerundeten Stirn,
zwischen schwarzen Augenbrauen und Locken,

Jedermann angezogen und das Leben mit
ihm erleichtert haͤtte. Daß dieſer durch Leip¬
zig kommen wuͤrde war mir angekuͤndigt, und
ich erwartete ihn mit Sehnſucht. Er kam
und trat in einem kleinen Gaſt- oder Wein¬
hauſe ab, das im Bruͤhl lag und deſſen
Wirth Schoͤnkopf hieß. Dieſer hatte eine
Frankfurterinn zur Frau, und ob er gleich
die uͤbrige Zeit des Jahres wenig Perſonen
bewirthete, und in das kleine Haus keine
Gaͤſte aufnehmen konnte; ſo war er doch
Meſſenzeits von vielen Frankfurtern beſucht,
welche dort zu ſpeiſen und im Nothfall auch
wohl Quartier zu nehmen pflegten. Dorthin
eilte ich, um Schloſſern aufzuſuchen, als er
mir ſeine Ankunft melden ließ. Ich erinner¬
te mich kaum, ihn fruͤher geſehen zu haben,
und fand einen jungen, wohlgebauten Mann,
mit einem runden zuſammengefaßten Geſicht,
ohne daß die Zuͤge deshalb ſtumpf geweſen
waͤren. Die Form ſeiner gerundeten Stirn,
zwiſchen ſchwarzen Augenbrauen und Locken,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0134" n="126"/>
Jedermann angezogen und das Leben mit<lb/>
ihm erleichtert ha&#x0364;tte. Daß die&#x017F;er durch Leip¬<lb/>
zig kommen wu&#x0364;rde war mir angeku&#x0364;ndigt, und<lb/>
ich erwartete ihn mit Sehn&#x017F;ucht. Er kam<lb/>
und trat in einem kleinen Ga&#x017F;t- oder Wein¬<lb/>
hau&#x017F;e ab, das im Bru&#x0364;hl lag und de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Wirth Scho&#x0364;nkopf hieß. Die&#x017F;er hatte eine<lb/>
Frankfurterinn zur Frau, und ob er gleich<lb/>
die u&#x0364;brige Zeit des Jahres wenig Per&#x017F;onen<lb/>
bewirthete, und in das kleine Haus keine<lb/>
Ga&#x0364;&#x017F;te aufnehmen konnte; &#x017F;o war er doch<lb/>
Me&#x017F;&#x017F;enzeits von vielen Frankfurtern be&#x017F;ucht,<lb/>
welche dort zu &#x017F;pei&#x017F;en und im Nothfall auch<lb/>
wohl Quartier zu nehmen pflegten. Dorthin<lb/>
eilte ich, um Schlo&#x017F;&#x017F;ern aufzu&#x017F;uchen, als er<lb/>
mir &#x017F;eine Ankunft melden ließ. Ich erinner¬<lb/>
te mich kaum, ihn fru&#x0364;her ge&#x017F;ehen zu haben,<lb/>
und fand einen jungen, wohlgebauten Mann,<lb/>
mit einem runden zu&#x017F;ammengefaßten Ge&#x017F;icht,<lb/>
ohne daß die Zu&#x0364;ge deshalb &#x017F;tumpf gewe&#x017F;en<lb/>
wa&#x0364;ren. Die Form &#x017F;einer gerundeten Stirn,<lb/>
zwi&#x017F;chen &#x017F;chwarzen Augenbrauen und Locken,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0134] Jedermann angezogen und das Leben mit ihm erleichtert haͤtte. Daß dieſer durch Leip¬ zig kommen wuͤrde war mir angekuͤndigt, und ich erwartete ihn mit Sehnſucht. Er kam und trat in einem kleinen Gaſt- oder Wein¬ hauſe ab, das im Bruͤhl lag und deſſen Wirth Schoͤnkopf hieß. Dieſer hatte eine Frankfurterinn zur Frau, und ob er gleich die uͤbrige Zeit des Jahres wenig Perſonen bewirthete, und in das kleine Haus keine Gaͤſte aufnehmen konnte; ſo war er doch Meſſenzeits von vielen Frankfurtern beſucht, welche dort zu ſpeiſen und im Nothfall auch wohl Quartier zu nehmen pflegten. Dorthin eilte ich, um Schloſſern aufzuſuchen, als er mir ſeine Ankunft melden ließ. Ich erinner¬ te mich kaum, ihn fruͤher geſehen zu haben, und fand einen jungen, wohlgebauten Mann, mit einem runden zuſammengefaßten Geſicht, ohne daß die Zuͤge deshalb ſtumpf geweſen waͤren. Die Form ſeiner gerundeten Stirn, zwiſchen ſchwarzen Augenbrauen und Locken,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/134
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/134>, abgerufen am 24.11.2024.