In den äußeren Formen ist er zwar mannig¬ faltig genug, aber durchaus bedient er sich der directen Ironie zu viel, daß er nämlich das Tadelnswürdige lobt und das Lobens¬ würdige tadelt, welches rednerische Mittel nur höchst selten angewendet werden sollte: denn auf die Dauer fällt es einsichtigen Men¬ schen verdrießlich, die schwachen macht es irre, und behagt freylich der großen Mittelclasse, welche, ohne besondern Geistesaufwand, sich klüger dünken kann als Andere. Was er aber und wie er es auch vorbringt zeugt von sei¬ ner Rechtlichkeit, Heiterkeit und Gleichmü¬ thigkeit, wodurch wir uns immer eingenom¬ men fühlen; der unbegrenzte Beyfall seiner Zeit war eine Folge solcher sittlichen Vorzüge.
Daß man zu seinen allgemeinen Schilde¬ rungen Musterbilder suchte und fand, war na¬ türlich, daß Einzelne sich über ihn beschwer¬ ten, folgte daraus; seine allzulangen Verthei¬ digungen, daß seine Satyre keine persönliche
In den aͤußeren Formen iſt er zwar mannig¬ faltig genug, aber durchaus bedient er ſich der directen Ironie zu viel, daß er naͤmlich das Tadelnswuͤrdige lobt und das Lobens¬ wuͤrdige tadelt, welches redneriſche Mittel nur hoͤchſt ſelten angewendet werden ſollte: denn auf die Dauer faͤllt es einſichtigen Men¬ ſchen verdrießlich, die ſchwachen macht es irre, und behagt freylich der großen Mittelclaſſe, welche, ohne beſondern Geiſtesaufwand, ſich kluͤger duͤnken kann als Andere. Was er aber und wie er es auch vorbringt zeugt von ſei¬ ner Rechtlichkeit, Heiterkeit und Gleichmuͤ¬ thigkeit, wodurch wir uns immer eingenom¬ men fuͤhlen; der unbegrenzte Beyfall ſeiner Zeit war eine Folge ſolcher ſittlichen Vorzuͤge.
Daß man zu ſeinen allgemeinen Schilde¬ rungen Muſterbilder ſuchte und fand, war na¬ tuͤrlich, daß Einzelne ſich uͤber ihn beſchwer¬ ten, folgte daraus; ſeine allzulangen Verthei¬ digungen, daß ſeine Satyre keine perſoͤnliche
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0120"n="112"/>
In den aͤußeren Formen iſt er zwar mannig¬<lb/>
faltig genug, aber durchaus bedient er ſich<lb/>
der directen Ironie zu viel, daß er naͤmlich<lb/>
das Tadelnswuͤrdige lobt und das Lobens¬<lb/>
wuͤrdige tadelt, welches redneriſche Mittel<lb/>
nur hoͤchſt ſelten angewendet werden ſollte:<lb/>
denn auf die Dauer faͤllt es einſichtigen Men¬<lb/>ſchen verdrießlich, die ſchwachen macht es irre,<lb/>
und behagt freylich der großen Mittelclaſſe,<lb/>
welche, ohne beſondern Geiſtesaufwand, ſich<lb/>
kluͤger duͤnken kann als Andere. Was er aber<lb/>
und wie er es auch vorbringt zeugt von ſei¬<lb/>
ner Rechtlichkeit, Heiterkeit und Gleichmuͤ¬<lb/>
thigkeit, wodurch wir uns immer eingenom¬<lb/>
men fuͤhlen; der unbegrenzte Beyfall ſeiner<lb/>
Zeit war eine Folge ſolcher ſittlichen Vorzuͤge.</p><lb/><p>Daß man zu ſeinen allgemeinen Schilde¬<lb/>
rungen Muſterbilder ſuchte und fand, war na¬<lb/>
tuͤrlich, daß Einzelne ſich uͤber ihn beſchwer¬<lb/>
ten, folgte daraus; ſeine allzulangen Verthei¬<lb/>
digungen, daß ſeine Satyre keine perſoͤnliche<lb/></p></div></body></text></TEI>
[112/0120]
In den aͤußeren Formen iſt er zwar mannig¬
faltig genug, aber durchaus bedient er ſich
der directen Ironie zu viel, daß er naͤmlich
das Tadelnswuͤrdige lobt und das Lobens¬
wuͤrdige tadelt, welches redneriſche Mittel
nur hoͤchſt ſelten angewendet werden ſollte:
denn auf die Dauer faͤllt es einſichtigen Men¬
ſchen verdrießlich, die ſchwachen macht es irre,
und behagt freylich der großen Mittelclaſſe,
welche, ohne beſondern Geiſtesaufwand, ſich
kluͤger duͤnken kann als Andere. Was er aber
und wie er es auch vorbringt zeugt von ſei¬
ner Rechtlichkeit, Heiterkeit und Gleichmuͤ¬
thigkeit, wodurch wir uns immer eingenom¬
men fuͤhlen; der unbegrenzte Beyfall ſeiner
Zeit war eine Folge ſolcher ſittlichen Vorzuͤge.
Daß man zu ſeinen allgemeinen Schilde¬
rungen Muſterbilder ſuchte und fand, war na¬
tuͤrlich, daß Einzelne ſich uͤber ihn beſchwer¬
ten, folgte daraus; ſeine allzulangen Verthei¬
digungen, daß ſeine Satyre keine perſoͤnliche
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/120>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.