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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812.

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immer gegen frühabgeschiedene, gutesverspre¬
chende Talente eine besondere Frömmigkeit be¬
wiesen haben; genug, uns ward Liskow sehr
früh als ein vorzüglicher Satyriker, der so¬
gar den Rang vor dem allgemein beliebten
Rabener verlangen könnte, gepriesen und an¬
empfohlen. Hierbey sahen wir uns freylich
nicht gefördert: denn wir konnten in seinen
Schriften weiter nichts erkennen, als daß er
das Alberne albern gefunden habe, welches
uns eine ganz natürliche Sache schien.

Rabener, wohl erzogen, unter gutem
Schulunterricht aufgewachsen, von heiterer
und keineswegs leidenschaftlicher oder gehässi¬
ger Natur, ergriff die allgemeine Satyre.
Sein Tadel der sogenannten Laster und Thor¬
heiten entspringt aus reinen Ansichten des
ruhigen Menschenverstandes und aus einem
bestimmten sittlichen Begriff, wie die Welt
seyn sollte. Die Rüge der Fehler und Män¬
gel ist harmlos und heiter; und damit selbst

immer gegen fruͤhabgeſchiedene, gutesverſpre¬
chende Talente eine beſondere Froͤmmigkeit be¬
wieſen haben; genug, uns ward Liskow ſehr
fruͤh als ein vorzuͤglicher Satyriker, der ſo¬
gar den Rang vor dem allgemein beliebten
Rabener verlangen koͤnnte, geprieſen und an¬
empfohlen. Hierbey ſahen wir uns freylich
nicht gefoͤrdert: denn wir konnten in ſeinen
Schriften weiter nichts erkennen, als daß er
das Alberne albern gefunden habe, welches
uns eine ganz natuͤrliche Sache ſchien.

Rabener, wohl erzogen, unter gutem
Schulunterricht aufgewachſen, von heiterer
und keineswegs leidenſchaftlicher oder gehaͤſſi¬
ger Natur, ergriff die allgemeine Satyre.
Sein Tadel der ſogenannten Laſter und Thor¬
heiten entſpringt aus reinen Anſichten des
ruhigen Menſchenverſtandes und aus einem
beſtimmten ſittlichen Begriff, wie die Welt
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[110/0118] immer gegen fruͤhabgeſchiedene, gutesverſpre¬ chende Talente eine beſondere Froͤmmigkeit be¬ wieſen haben; genug, uns ward Liskow ſehr fruͤh als ein vorzuͤglicher Satyriker, der ſo¬ gar den Rang vor dem allgemein beliebten Rabener verlangen koͤnnte, geprieſen und an¬ empfohlen. Hierbey ſahen wir uns freylich nicht gefoͤrdert: denn wir konnten in ſeinen Schriften weiter nichts erkennen, als daß er das Alberne albern gefunden habe, welches uns eine ganz natuͤrliche Sache ſchien. Rabener, wohl erzogen, unter gutem Schulunterricht aufgewachſen, von heiterer und keineswegs leidenſchaftlicher oder gehaͤſſi¬ ger Natur, ergriff die allgemeine Satyre. Sein Tadel der ſogenannten Laſter und Thor¬ heiten entſpringt aus reinen Anſichten des ruhigen Menſchenverſtandes und aus einem beſtimmten ſittlichen Begriff, wie die Welt ſeyn ſollte. Die Ruͤge der Fehler und Maͤn¬ gel iſt harmlos und heiter; und damit ſelbſt

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/118>, abgerufen am 24.11.2024.