letzt, dem anerkannten Uebermaß ihrer Ver¬ dienste zu Ehren, alles wieder ins Gleiche. Die Gegenstände waren unterhaltend und be¬ deutend, und spannten meine Aufmerksamkeit. Viele Benennungen und eine weitläuftige Ter¬ minologie wurden mir nach und nach bekannt, die ich um so lieber auffaßte, weil ich mich fürchtete einen Reim niederzuschreiben, wenn er sich mir auch noch so freywillig darbot, oder ein Gedicht zu lesen, indem mir bange war, es möchte mir gegenwärtig gefallen und ich müsse es denn doch, wie so manches An¬ dere, vielleicht nächstens für schlecht erklären.
Diese Geschmacks- und Urtheilsungewi߬ heit beunruhigte mich täglich mehr, so daß ich zuletzt in Verzweiflung gerieth. Ich hat¬ te von meinen Jugendarbeiten was ich für das Beste hielt, mitgenommen, theils weil ich mir denn doch einige Ehre dadurch zu verschaffen hoffte, theils um meine Fortschrit¬ te desto sicherer prüfen zu können; aber ich
letzt, dem anerkannten Uebermaß ihrer Ver¬ dienſte zu Ehren, alles wieder ins Gleiche. Die Gegenſtaͤnde waren unterhaltend und be¬ deutend, und ſpannten meine Aufmerkſamkeit. Viele Benennungen und eine weitlaͤuftige Ter¬ minologie wurden mir nach und nach bekannt, die ich um ſo lieber auffaßte, weil ich mich fuͤrchtete einen Reim niederzuſchreiben, wenn er ſich mir auch noch ſo freywillig darbot, oder ein Gedicht zu leſen, indem mir bange war, es moͤchte mir gegenwaͤrtig gefallen und ich muͤſſe es denn doch, wie ſo manches An¬ dere, vielleicht naͤchſtens fuͤr ſchlecht erklaͤren.
Dieſe Geſchmacks- und Urtheilsungewi߬ heit beunruhigte mich taͤglich mehr, ſo daß ich zuletzt in Verzweiflung gerieth. Ich hat¬ te von meinen Jugendarbeiten was ich fuͤr das Beſte hielt, mitgenommen, theils weil ich mir denn doch einige Ehre dadurch zu verſchaffen hoffte, theils um meine Fortſchrit¬ te deſto ſicherer pruͤfen zu koͤnnen; aber ich
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letzt, dem anerkannten Uebermaß ihrer Ver¬
dienſte zu Ehren, alles wieder ins Gleiche.
Die Gegenſtaͤnde waren unterhaltend und be¬
deutend, und ſpannten meine Aufmerkſamkeit.
Viele Benennungen und eine weitlaͤuftige Ter¬
minologie wurden mir nach und nach bekannt,
die ich um ſo lieber auffaßte, weil ich mich
fuͤrchtete einen Reim niederzuſchreiben, wenn
er ſich mir auch noch ſo freywillig darbot,
oder ein Gedicht zu leſen, indem mir bange
war, es moͤchte mir gegenwaͤrtig gefallen und
ich muͤſſe es denn doch, wie ſo manches An¬
dere, vielleicht naͤchſtens fuͤr ſchlecht erklaͤren.
Dieſe Geſchmacks- und Urtheilsungewi߬
heit beunruhigte mich taͤglich mehr, ſo daß
ich zuletzt in Verzweiflung gerieth. Ich hat¬
te von meinen Jugendarbeiten was ich fuͤr
das Beſte hielt, mitgenommen, theils weil
ich mir denn doch einige Ehre dadurch zu
verſchaffen hoffte, theils um meine Fortſchrit¬
te deſto ſicherer pruͤfen zu koͤnnen; aber ich
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 2. Tübingen, 1812, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben02_1812/109>, abgerufen am 30.01.2025.
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