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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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brüchlichen Friedens und einer ewigen Dauer
gegeben hätte.

Was jedoch die Ehrfurcht, die wir für
diesen würdigen Greis empfanden, bis zum
Höchsten steigerte, war die Ueberzeugung, daß
derselbe die Gabe der Weissagung besitze,
besonders in Dingen, die ihn selbst und sein
Schicksal betrafen. Zwar ließ er sich gegen
Niemand als gegen die Großmutter entschie¬
den und umständlich heraus; aber wir alle
wußten doch, daß er durch bedeutende Träu¬
me von dem was sich ereignen sollte, unter¬
richtet werde. So versicherte er z. B. seiner
Gattinn, zur Zeit als er noch unter die jün¬
gern Rathsherren gehörte, daß er bey der
nächsten Vakanz auf der Schöffenbank zu der
erledigten Stelle gelangen würde. Und als
wirklich bald darauf einer der Schöffen vom
Schlage gerührt starb, verordnete er am Ta¬
ge der Wahl und Kugelung, daß zu Hause
im Stillen alles zum Empfang der Gäste und

bruͤchlichen Friedens und einer ewigen Dauer
gegeben haͤtte.

Was jedoch die Ehrfurcht, die wir fuͤr
dieſen wuͤrdigen Greis empfanden, bis zum
Hoͤchſten ſteigerte, war die Ueberzeugung, daß
derſelbe die Gabe der Weiſſagung beſitze,
beſonders in Dingen, die ihn ſelbſt und ſein
Schickſal betrafen. Zwar ließ er ſich gegen
Niemand als gegen die Großmutter entſchie¬
den und umſtaͤndlich heraus; aber wir alle
wußten doch, daß er durch bedeutende Traͤu¬
me von dem was ſich ereignen ſollte, unter¬
richtet werde. So verſicherte er z. B. ſeiner
Gattinn, zur Zeit als er noch unter die juͤn¬
gern Rathsherren gehoͤrte, daß er bey der
naͤchſten Vakanz auf der Schoͤffenbank zu der
erledigten Stelle gelangen wuͤrde. Und als
wirklich bald darauf einer der Schoͤffen vom
Schlage geruͤhrt ſtarb, verordnete er am Ta¬
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[75/0091] bruͤchlichen Friedens und einer ewigen Dauer gegeben haͤtte. Was jedoch die Ehrfurcht, die wir fuͤr dieſen wuͤrdigen Greis empfanden, bis zum Hoͤchſten ſteigerte, war die Ueberzeugung, daß derſelbe die Gabe der Weiſſagung beſitze, beſonders in Dingen, die ihn ſelbſt und ſein Schickſal betrafen. Zwar ließ er ſich gegen Niemand als gegen die Großmutter entſchie¬ den und umſtaͤndlich heraus; aber wir alle wußten doch, daß er durch bedeutende Traͤu¬ me von dem was ſich ereignen ſollte, unter¬ richtet werde. So verſicherte er z. B. ſeiner Gattinn, zur Zeit als er noch unter die juͤn¬ gern Rathsherren gehoͤrte, daß er bey der naͤchſten Vakanz auf der Schoͤffenbank zu der erledigten Stelle gelangen wuͤrde. Und als wirklich bald darauf einer der Schoͤffen vom Schlage geruͤhrt ſtarb, verordnete er am Ta¬ ge der Wahl und Kugelung, daß zu Hauſe im Stillen alles zum Empfang der Gaͤſte und

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/91>, abgerufen am 20.05.2024.