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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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lich und eindringlich empfohlen; so zauderten
doch die deutschen Aerzte mit einer Operation,
welche der Natur vorzugreifen schien. Specu¬
lirende Engländer kamen daher aufs feste Land
und impften, gegen ein ansehnliches Honorar,
die Kinder solcher Personen, die sie wohl¬
habend und frey von Vorurtheil fanden.
Die Mehrzahl jedoch war noch immer dem
alten Unheil ausgesetzt; die Krankheit wüthete
durch die Familien, tödtete und entstellte viele
Kinder, und wenige Aeltern wagten es, nach
einem Mittel zu greifen, dessen wahrschein¬
liche Hülfe doch schon durch den Erfolg man¬
nigfaltig bestätigt war. Das Uebel betraf
nun auch unser Haus, und überfiel mich mit
ganz besonderer Heftigkeit. Der ganze Kör¬
per war mit Blattern übersäet, das Gesicht
zugedeckt, und ich lag mehrere Tage blind
und in großen Leiden. Man suchte die mög¬
lichste Linderung, und versprach mir goldene
Berge, wenn ich mich ruhig verhalten und
das Uebel nicht durch Reiben und Kratzen

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lich und eindringlich empfohlen; ſo zauderten
doch die deutſchen Aerzte mit einer Operation,
welche der Natur vorzugreifen ſchien. Specu¬
lirende Englaͤnder kamen daher aufs feſte Land
und impften, gegen ein anſehnliches Honorar,
die Kinder ſolcher Perſonen, die ſie wohl¬
habend und frey von Vorurtheil fanden.
Die Mehrzahl jedoch war noch immer dem
alten Unheil ausgeſetzt; die Krankheit wuͤthete
durch die Familien, toͤdtete und entſtellte viele
Kinder, und wenige Aeltern wagten es, nach
einem Mittel zu greifen, deſſen wahrſchein¬
liche Huͤlfe doch ſchon durch den Erfolg man¬
nigfaltig beſtaͤtigt war. Das Uebel betraf
nun auch unſer Haus, und uͤberfiel mich mit
ganz beſonderer Heftigkeit. Der ganze Koͤr¬
per war mit Blattern uͤberſaͤet, das Geſicht
zugedeckt, und ich lag mehrere Tage blind
und in großen Leiden. Man ſuchte die moͤg¬
lichſte Linderung, und verſprach mir goldene
Berge, wenn ich mich ruhig verhalten und
das Uebel nicht durch Reiben und Kratzen

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[67/0083] lich und eindringlich empfohlen; ſo zauderten doch die deutſchen Aerzte mit einer Operation, welche der Natur vorzugreifen ſchien. Specu¬ lirende Englaͤnder kamen daher aufs feſte Land und impften, gegen ein anſehnliches Honorar, die Kinder ſolcher Perſonen, die ſie wohl¬ habend und frey von Vorurtheil fanden. Die Mehrzahl jedoch war noch immer dem alten Unheil ausgeſetzt; die Krankheit wuͤthete durch die Familien, toͤdtete und entſtellte viele Kinder, und wenige Aeltern wagten es, nach einem Mittel zu greifen, deſſen wahrſchein¬ liche Huͤlfe doch ſchon durch den Erfolg man¬ nigfaltig beſtaͤtigt war. Das Uebel betraf nun auch unſer Haus, und uͤberfiel mich mit ganz beſonderer Heftigkeit. Der ganze Koͤr¬ per war mit Blattern uͤberſaͤet, das Geſicht zugedeckt, und ich lag mehrere Tage blind und in großen Leiden. Man ſuchte die moͤg¬ lichſte Linderung, und verſprach mir goldene Berge, wenn ich mich ruhig verhalten und das Uebel nicht durch Reiben und Kratzen 5 *

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/83>, abgerufen am 25.11.2024.