Man hatte zu der Zeit noch keine Biblio¬ theken für Kinder veranstaltet. Die Alten hatten selbst noch kindliche Gesinnungen, und fanden es bequem, ihre eigene Bildung der Nachkommenschaft mitzutheilen. Außer dem Orbis pictus des Amos Comenius kam uns kein Buch dieser Art in die Hände; aber die große Folio-Bibel, mit Kupfern von Merian, ward häufig von uns durchblät¬ tert; Gottfrieds Chronik, mit Kupfern dessel¬ ben Meisters, belehrte uns von den merkwür¬ digsten Fällen der Weltgeschichte; die Acerra philologica that noch allerley Fabeln, My¬ thologieen und Seltsamkeiten hinzu; und da ich gar bald die Ovidischen Verwandlungen gewahr wurde, und besonders die ersten Bü¬ cher fleißig studirte: so war mein junges Gehirn schnell genug mit einer Masse von Bildern und Begebenheiten, von bedeutenden und wunderbaren Gestalten und Ereignissen angefüllt, und ich konnte niemals lange Wei¬ le haben, indem ich mich immerfort beschäf¬
Man hatte zu der Zeit noch keine Biblio¬ theken fuͤr Kinder veranſtaltet. Die Alten hatten ſelbſt noch kindliche Geſinnungen, und fanden es bequem, ihre eigene Bildung der Nachkommenſchaft mitzutheilen. Außer dem Orbis pictus des Amos Comenius kam uns kein Buch dieſer Art in die Haͤnde; aber die große Folio-Bibel, mit Kupfern von Merian, ward haͤufig von uns durchblaͤt¬ tert; Gottfrieds Chronik, mit Kupfern deſſel¬ ben Meiſters, belehrte uns von den merkwuͤr¬ digſten Faͤllen der Weltgeſchichte; die Acerra philologica that noch allerley Fabeln, My¬ thologieen und Seltſamkeiten hinzu; und da ich gar bald die Ovidiſchen Verwandlungen gewahr wurde, und beſonders die erſten Buͤ¬ cher fleißig ſtudirte: ſo war mein junges Gehirn ſchnell genug mit einer Maſſe von Bildern und Begebenheiten, von bedeutenden und wunderbaren Geſtalten und Ereigniſſen angefuͤllt, und ich konnte niemals lange Wei¬ le haben, indem ich mich immerfort beſchaͤf¬
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Man hatte zu der Zeit noch keine Biblio¬
theken fuͤr Kinder veranſtaltet. Die Alten
hatten ſelbſt noch kindliche Geſinnungen,
und fanden es bequem, ihre eigene Bildung
der Nachkommenſchaft mitzutheilen. Außer
dem Orbis pictus des Amos Comenius kam
uns kein Buch dieſer Art in die Haͤnde;
aber die große Folio-Bibel, mit Kupfern
von Merian, ward haͤufig von uns durchblaͤt¬
tert; Gottfrieds Chronik, mit Kupfern deſſel¬
ben Meiſters, belehrte uns von den merkwuͤr¬
digſten Faͤllen der Weltgeſchichte; die Acerra
philologica that noch allerley Fabeln, My¬
thologieen und Seltſamkeiten hinzu; und da
ich gar bald die Ovidiſchen Verwandlungen
gewahr wurde, und beſonders die erſten Buͤ¬
cher fleißig ſtudirte: ſo war mein junges
Gehirn ſchnell genug mit einer Maſſe von
Bildern und Begebenheiten, von bedeutenden
und wunderbaren Geſtalten und Ereigniſſen
angefuͤllt, und ich konnte niemals lange Wei¬
le haben, indem ich mich immerfort beſchaͤf¬
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/79>, abgerufen am 22.11.2024.
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