Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Caffee diente für einige Stunden zur
Ermunterung; nach und nach aber ermattete
das Spiel, das Gespräch ging aus; die
Mutter schlief im großen Sessel; die Fremden
von der Reise müde, nickten da und dort,
Pylades und seine Schöne saßen in einer Ecke.
Sie hatte ihren Kopf auf seine Schulter ge¬
legt und schlief; auch er wachte nicht lange.
Der jüngere Vetter, gegen uns über am Schie¬
fertische sitzend, hatte seine Arme vor sich
übereinandergeschlagen und schlief mit auf¬
liegendem Gesichte. Ich saß in der Fenster¬
ecke hinter dem Tische und Gretchen neben
mir. Wir unterhielten uns leise; aber endlich
übermannte auch sie der Schlaf, sie lehnte
ihr Köpfchen an meine Schulter und war
gleich eingeschlummert. So saß ich nun al¬
lein, wachend, in der wunderlichsten Lage, in
der auch mich der freundliche Bruder des
Todes zu beruhigen wußte. Ich schlief ein,
und als ich wieder erwachte, war es schon
heller Tag. Gretchen stand vor dem Spiegel

Der Caffee diente fuͤr einige Stunden zur
Ermunterung; nach und nach aber ermattete
das Spiel, das Geſpraͤch ging aus; die
Mutter ſchlief im großen Seſſel; die Fremden
von der Reiſe muͤde, nickten da und dort,
Pylades und ſeine Schoͤne ſaßen in einer Ecke.
Sie hatte ihren Kopf auf ſeine Schulter ge¬
legt und ſchlief; auch er wachte nicht lange.
Der juͤngere Vetter, gegen uns uͤber am Schie¬
fertiſche ſitzend, hatte ſeine Arme vor ſich
uͤbereinandergeſchlagen und ſchlief mit auf¬
liegendem Geſichte. Ich ſaß in der Fenſter¬
ecke hinter dem Tiſche und Gretchen neben
mir. Wir unterhielten uns leiſe; aber endlich
uͤbermannte auch ſie der Schlaf, ſie lehnte
ihr Koͤpfchen an meine Schulter und war
gleich eingeſchlummert. So ſaß ich nun al¬
lein, wachend, in der wunderlichſten Lage, in
der auch mich der freundliche Bruder des
Todes zu beruhigen wußte. Ich ſchlief ein,
und als ich wieder erwachte, war es ſchon
heller Tag. Gretchen ſtand vor dem Spiegel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0485" n="469"/>
        <p>Der Caffee diente fu&#x0364;r einige Stunden zur<lb/>
Ermunterung; nach und nach aber ermattete<lb/>
das Spiel, das Ge&#x017F;pra&#x0364;ch ging aus; die<lb/>
Mutter &#x017F;chlief im großen Se&#x017F;&#x017F;el; die Fremden<lb/>
von der Rei&#x017F;e mu&#x0364;de, nickten da und dort,<lb/>
Pylades und &#x017F;eine Scho&#x0364;ne &#x017F;aßen in einer Ecke.<lb/>
Sie hatte ihren Kopf auf &#x017F;eine Schulter ge¬<lb/>
legt und &#x017F;chlief; auch er wachte nicht lange.<lb/>
Der ju&#x0364;ngere Vetter, gegen uns u&#x0364;ber am Schie¬<lb/>
ferti&#x017F;che &#x017F;itzend, hatte &#x017F;eine Arme vor &#x017F;ich<lb/>
u&#x0364;bereinanderge&#x017F;chlagen und &#x017F;chlief mit auf¬<lb/>
liegendem Ge&#x017F;ichte. Ich &#x017F;aß in der Fen&#x017F;ter¬<lb/>
ecke hinter dem Ti&#x017F;che und Gretchen neben<lb/>
mir. Wir unterhielten uns lei&#x017F;e; aber endlich<lb/>
u&#x0364;bermannte auch &#x017F;ie der Schlaf, &#x017F;ie lehnte<lb/>
ihr Ko&#x0364;pfchen an meine Schulter und war<lb/>
gleich einge&#x017F;chlummert. So &#x017F;aß ich nun al¬<lb/>
lein, wachend, in der wunderlich&#x017F;ten Lage, in<lb/>
der auch mich der freundliche Bruder des<lb/>
Todes zu beruhigen wußte. Ich &#x017F;chlief ein,<lb/>
und als ich wieder erwachte, war es &#x017F;chon<lb/>
heller Tag. Gretchen &#x017F;tand vor dem Spiegel<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[469/0485] Der Caffee diente fuͤr einige Stunden zur Ermunterung; nach und nach aber ermattete das Spiel, das Geſpraͤch ging aus; die Mutter ſchlief im großen Seſſel; die Fremden von der Reiſe muͤde, nickten da und dort, Pylades und ſeine Schoͤne ſaßen in einer Ecke. Sie hatte ihren Kopf auf ſeine Schulter ge¬ legt und ſchlief; auch er wachte nicht lange. Der juͤngere Vetter, gegen uns uͤber am Schie¬ fertiſche ſitzend, hatte ſeine Arme vor ſich uͤbereinandergeſchlagen und ſchlief mit auf¬ liegendem Geſichte. Ich ſaß in der Fenſter¬ ecke hinter dem Tiſche und Gretchen neben mir. Wir unterhielten uns leiſe; aber endlich uͤbermannte auch ſie der Schlaf, ſie lehnte ihr Koͤpfchen an meine Schulter und war gleich eingeſchlummert. So ſaß ich nun al¬ lein, wachend, in der wunderlichſten Lage, in der auch mich der freundliche Bruder des Todes zu beruhigen wußte. Ich ſchlief ein, und als ich wieder erwachte, war es ſchon heller Tag. Gretchen ſtand vor dem Spiegel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/485
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/485>, abgerufen am 24.11.2024.