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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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nigstens für eine Zeit lang in Verlegenheit
und Noth brachten. Mein früheres gutes
Verhältniß zu jenem Knaben, den ich oben
Pylades genannt, hatte sich bis ins Jüng¬
lingsalter fortgesetzt. Zwar sahen wir uns
seltner, weil unsre Aeltern nicht zum besten
mit einander standen; wo wir uns aber tra¬
fen, sprang immer sogleich der alte freund¬
schaftliche Jubel hervor. Einst begegneten
wir uns in den Alleen, die zwischen dem in¬
nern und äußern Sanct - Gallen - Thor einen
sehr angenehmen Spazirgang darboten. Wir
hatten uns kaum begrüßt, als er zu mir
sagte: "Es geht mir mit deinen Versen noch
immer wie sonst. Diejenigen die du mir
neulich mittheiltest, habe ich einigen lustigen
Gesellen vorgelesen, und keiner will glauben,
daß du sie gemacht habest." -- Laß es gut
seyn, versetzte ich; wir wollen sie machen,
uns daran ergetzen, und die Andern mögen
davon denken und sagen was sie wollen.

nigſtens fuͤr eine Zeit lang in Verlegenheit
und Noth brachten. Mein fruͤheres gutes
Verhaͤltniß zu jenem Knaben, den ich oben
Pylades genannt, hatte ſich bis ins Juͤng¬
lingsalter fortgeſetzt. Zwar ſahen wir uns
ſeltner, weil unſre Aeltern nicht zum beſten
mit einander ſtanden; wo wir uns aber tra¬
fen, ſprang immer ſogleich der alte freund¬
ſchaftliche Jubel hervor. Einſt begegneten
wir uns in den Alleen, die zwiſchen dem in¬
nern und aͤußern Sanct - Gallen - Thor einen
ſehr angenehmen Spazirgang darboten. Wir
hatten uns kaum begruͤßt, als er zu mir
ſagte: „Es geht mir mit deinen Verſen noch
immer wie ſonſt. Diejenigen die du mir
neulich mittheilteſt, habe ich einigen luſtigen
Geſellen vorgeleſen, und keiner will glauben,
daß du ſie gemacht habeſt.“ — Laß es gut
ſeyn, verſetzte ich; wir wollen ſie machen,
uns daran ergetzen, und die Andern moͤgen
davon denken und ſagen was ſie wollen.

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[388/0404] nigſtens fuͤr eine Zeit lang in Verlegenheit und Noth brachten. Mein fruͤheres gutes Verhaͤltniß zu jenem Knaben, den ich oben Pylades genannt, hatte ſich bis ins Juͤng¬ lingsalter fortgeſetzt. Zwar ſahen wir uns ſeltner, weil unſre Aeltern nicht zum beſten mit einander ſtanden; wo wir uns aber tra¬ fen, ſprang immer ſogleich der alte freund¬ ſchaftliche Jubel hervor. Einſt begegneten wir uns in den Alleen, die zwiſchen dem in¬ nern und aͤußern Sanct - Gallen - Thor einen ſehr angenehmen Spazirgang darboten. Wir hatten uns kaum begruͤßt, als er zu mir ſagte: „Es geht mir mit deinen Verſen noch immer wie ſonſt. Diejenigen die du mir neulich mittheilteſt, habe ich einigen luſtigen Geſellen vorgeleſen, und keiner will glauben, daß du ſie gemacht habeſt.“ — Laß es gut ſeyn, verſetzte ich; wir wollen ſie machen, uns daran ergetzen, und die Andern moͤgen davon denken und ſagen was ſie wollen.

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/404>, abgerufen am 22.11.2024.