blos menschliche Zustände in ihrer Mannig¬ faltigkeit und Natürlichkeit, ohne weitern An¬ spruch auf Interesse oder Schönheit, zu erfas¬ sen, sich hervorthat. So war es eine von unsern liebsten Promenaden, die wir uns des Jahrs ein paarmal zu verschaffen suchten, in¬ wendig auf dem Gange der Stadtmauer her¬ zuspaziren. Gärten, Höfe, Hintergebäude ziehen sich bis an den Zwinger heran; man sieht mehreren tausend Menschen in ihre häus¬ lichen, kleinen, abgeschlossenen, verborgenen Zustände. Von dem Putz- und Schaugarten des Reichen zu den Obstgärten des für seinen Nutzen besorgten Bürgers, von da zu Fabri¬ ken, Bleichplätzen und ähnlichen Anstalten, ja bis zum Gottesacker selbst -- denn eine klei¬ ne Welt lag innerhalb des Bezirks der Stadt -- ging man an dem mannigfaltigsten, wun¬ derlichsten, mit jedem Schritt sich verändern¬ den Schauspiel vorbey, an dem unsre kindi¬ sche Neugier sich nicht genug ergetzen konnte. Denn fürwahr der bekannte hinkende Teufel,
blos menſchliche Zuſtaͤnde in ihrer Mannig¬ faltigkeit und Natuͤrlichkeit, ohne weitern An¬ ſpruch auf Intereſſe oder Schoͤnheit, zu erfaſ¬ ſen, ſich hervorthat. So war es eine von unſern liebſten Promenaden, die wir uns des Jahrs ein paarmal zu verſchaffen ſuchten, in¬ wendig auf dem Gange der Stadtmauer her¬ zuſpaziren. Gaͤrten, Hoͤfe, Hintergebaͤude ziehen ſich bis an den Zwinger heran; man ſieht mehreren tauſend Menſchen in ihre haͤus¬ lichen, kleinen, abgeſchloſſenen, verborgenen Zuſtaͤnde. Von dem Putz- und Schaugarten des Reichen zu den Obſtgaͤrten des fuͤr ſeinen Nutzen beſorgten Buͤrgers, von da zu Fabri¬ ken, Bleichplaͤtzen und aͤhnlichen Anſtalten, ja bis zum Gottesacker ſelbſt — denn eine klei¬ ne Welt lag innerhalb des Bezirks der Stadt — ging man an dem mannigfaltigſten, wun¬ derlichſten, mit jedem Schritt ſich veraͤndern¬ den Schauſpiel vorbey, an dem unſre kindi¬ ſche Neugier ſich nicht genug ergetzen konnte. Denn fuͤrwahr der bekannte hinkende Teufel,
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blos menſchliche Zuſtaͤnde in ihrer Mannig¬
faltigkeit und Natuͤrlichkeit, ohne weitern An¬
ſpruch auf Intereſſe oder Schoͤnheit, zu erfaſ¬
ſen, ſich hervorthat. So war es eine von
unſern liebſten Promenaden, die wir uns des
Jahrs ein paarmal zu verſchaffen ſuchten, in¬
wendig auf dem Gange der Stadtmauer her¬
zuſpaziren. Gaͤrten, Hoͤfe, Hintergebaͤude
ziehen ſich bis an den Zwinger heran; man
ſieht mehreren tauſend Menſchen in ihre haͤus¬
lichen, kleinen, abgeſchloſſenen, verborgenen
Zuſtaͤnde. Von dem Putz- und Schaugarten
des Reichen zu den Obſtgaͤrten des fuͤr ſeinen
Nutzen beſorgten Buͤrgers, von da zu Fabri¬
ken, Bleichplaͤtzen und aͤhnlichen Anſtalten, ja
bis zum Gottesacker ſelbſt — denn eine klei¬
ne Welt lag innerhalb des Bezirks der Stadt
— ging man an dem mannigfaltigſten, wun¬
derlichſten, mit jedem Schritt ſich veraͤndern¬
den Schauſpiel vorbey, an dem unſre kindi¬
ſche Neugier ſich nicht genug ergetzen konnte.
Denn fuͤrwahr der bekannte hinkende Teufel,
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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/40>, abgerufen am 24.11.2024.
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