Auch in diesem Glauben tritt Jakob sei¬ nen Zug an, und wenn er durch List und Betrug unsere Neigung nicht erworben hat, so gewinnt er sie durch die dauernde und un¬ verbrüchliche Liebe zu Rahel, um die er selbst aus dem Stegreife wirbt, wie Eleasar für seinen Vater um Rebecca geworben hatte. In ihm sollte sich die Verheißung eines un¬ ermeßlichen Volkes zuerst vollkommen entfal¬ ten; er sollte viele Söhne um sich sehen, aber auch durch sie und ihre Mütter manches Herzeleid erleben.
Sieben Jahre dient er um die Geliebte, ohne Ungeduld und ohne Wanken. Sein Schwiegervater, ihm gleich an List, gesinnt wie er, um jedes Mittel zum Zweck für rechtmäßig zu halten, betriegt ihn, vergilt ihm was er an seinem Bruder gethan: Ja¬ kob findet eine Gattinn, die er nicht liebt, in seinen Armen. Zwar, um ihn zu besänf¬ tigen, giebt Laban nach kurzer Zeit ihm die
Auch in dieſem Glauben tritt Jakob ſei¬ nen Zug an, und wenn er durch Liſt und Betrug unſere Neigung nicht erworben hat, ſo gewinnt er ſie durch die dauernde und un¬ verbruͤchliche Liebe zu Rahel, um die er ſelbſt aus dem Stegreife wirbt, wie Eleaſar fuͤr ſeinen Vater um Rebecca geworben hatte. In ihm ſollte ſich die Verheißung eines un¬ ermeßlichen Volkes zuerſt vollkommen entfal¬ ten; er ſollte viele Soͤhne um ſich ſehen, aber auch durch ſie und ihre Muͤtter manches Herzeleid erleben.
Sieben Jahre dient er um die Geliebte, ohne Ungeduld und ohne Wanken. Sein Schwiegervater, ihm gleich an Liſt, geſinnt wie er, um jedes Mittel zum Zweck fuͤr rechtmaͤßig zu halten, betriegt ihn, vergilt ihm was er an ſeinem Bruder gethan: Ja¬ kob findet eine Gattinn, die er nicht liebt, in ſeinen Armen. Zwar, um ihn zu beſaͤnf¬ tigen, giebt Laban nach kurzer Zeit ihm die
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0340"n="324"/><p>Auch in dieſem Glauben tritt Jakob ſei¬<lb/>
nen Zug an, und wenn er durch Liſt und<lb/>
Betrug unſere Neigung nicht erworben hat,<lb/>ſo gewinnt er ſie durch die dauernde und un¬<lb/>
verbruͤchliche Liebe zu Rahel, um die er<lb/>ſelbſt aus dem Stegreife wirbt, wie Eleaſar<lb/>
fuͤr ſeinen Vater um Rebecca geworben hatte.<lb/>
In ihm ſollte ſich die Verheißung eines un¬<lb/>
ermeßlichen Volkes zuerſt vollkommen entfal¬<lb/>
ten; er ſollte viele Soͤhne um ſich ſehen,<lb/>
aber auch durch ſie und ihre Muͤtter manches<lb/>
Herzeleid erleben.</p><lb/><p>Sieben Jahre dient er um die Geliebte,<lb/>
ohne Ungeduld und ohne Wanken. Sein<lb/>
Schwiegervater, ihm gleich an Liſt, geſinnt<lb/>
wie er, um jedes Mittel zum Zweck fuͤr<lb/>
rechtmaͤßig zu halten, betriegt ihn, vergilt<lb/>
ihm was er an ſeinem Bruder gethan: Ja¬<lb/>
kob findet eine Gattinn, die er nicht liebt,<lb/>
in ſeinen Armen. Zwar, um ihn zu beſaͤnf¬<lb/>
tigen, giebt Laban nach kurzer Zeit ihm die<lb/></p></div></body></text></TEI>
[324/0340]
Auch in dieſem Glauben tritt Jakob ſei¬
nen Zug an, und wenn er durch Liſt und
Betrug unſere Neigung nicht erworben hat,
ſo gewinnt er ſie durch die dauernde und un¬
verbruͤchliche Liebe zu Rahel, um die er
ſelbſt aus dem Stegreife wirbt, wie Eleaſar
fuͤr ſeinen Vater um Rebecca geworben hatte.
In ihm ſollte ſich die Verheißung eines un¬
ermeßlichen Volkes zuerſt vollkommen entfal¬
ten; er ſollte viele Soͤhne um ſich ſehen,
aber auch durch ſie und ihre Muͤtter manches
Herzeleid erleben.
Sieben Jahre dient er um die Geliebte,
ohne Ungeduld und ohne Wanken. Sein
Schwiegervater, ihm gleich an Liſt, geſinnt
wie er, um jedes Mittel zum Zweck fuͤr
rechtmaͤßig zu halten, betriegt ihn, vergilt
ihm was er an ſeinem Bruder gethan: Ja¬
kob findet eine Gattinn, die er nicht liebt,
in ſeinen Armen. Zwar, um ihn zu beſaͤnf¬
tigen, giebt Laban nach kurzer Zeit ihm die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/340>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.