nen, alle und jede Gebote eben so blindlings befolgen, als sie ohne zu zweifeln die späten Erfüllungen seiner Verheißungen abzuwarten nicht ermüden.
So wie eine besondere, geoffenbarte Reli¬ gion den Begriff zum Grunde legt, daß einer mehr von den Göttern begünstigt seyn könne als der andre, so entspringt sie auch vorzüg¬ lich aus der Absonderung der Zustände. Nahe verwandt schienen sich die ersten Menschen, aber ihre Beschäftigungen trennten sie bald. Der Jäger war der freyeste von allen; aus ihm entwickelte sich der Krieger und der Herr¬ scher. Der Theil der den Acker baute, sich der Erde verschrieb, Wohnungen und Scheu¬ ern aufführte, um das Erworbene zu erhal¬ ten, konnte sich schon etwas dünken, weil sein Zustand Dauer und Sicherheit versprach. Dem Hirten an seiner Stelle schien der unge¬ messenste Zustand so wie ein gränzenloser Besitz zu Theil geworden. Die Vermehrung
nen, alle und jede Gebote eben ſo blindlings befolgen, als ſie ohne zu zweifeln die ſpaͤten Erfuͤllungen ſeiner Verheißungen abzuwarten nicht ermuͤden.
So wie eine beſondere, geoffenbarte Reli¬ gion den Begriff zum Grunde legt, daß einer mehr von den Goͤttern beguͤnſtigt ſeyn koͤnne als der andre, ſo entſpringt ſie auch vorzuͤg¬ lich aus der Abſonderung der Zuſtaͤnde. Nahe verwandt ſchienen ſich die erſten Menſchen, aber ihre Beſchaͤftigungen trennten ſie bald. Der Jaͤger war der freyeſte von allen; aus ihm entwickelte ſich der Krieger und der Herr¬ ſcher. Der Theil der den Acker baute, ſich der Erde verſchrieb, Wohnungen und Scheu¬ ern auffuͤhrte, um das Erworbene zu erhal¬ ten, konnte ſich ſchon etwas duͤnken, weil ſein Zuſtand Dauer und Sicherheit verſprach. Dem Hirten an ſeiner Stelle ſchien der unge¬ meſſenſte Zuſtand ſo wie ein graͤnzenloſer Beſitz zu Theil geworden. Die Vermehrung
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0330"n="314"/>
nen, alle und jede Gebote eben ſo blindlings<lb/>
befolgen, als ſie ohne zu zweifeln die ſpaͤten<lb/>
Erfuͤllungen ſeiner Verheißungen abzuwarten<lb/>
nicht ermuͤden.</p><lb/><p>So wie eine beſondere, geoffenbarte Reli¬<lb/>
gion den Begriff zum Grunde legt, daß einer<lb/>
mehr von den Goͤttern beguͤnſtigt ſeyn koͤnne<lb/>
als der andre, ſo entſpringt ſie auch vorzuͤg¬<lb/>
lich aus der Abſonderung der Zuſtaͤnde. Nahe<lb/>
verwandt ſchienen ſich die erſten Menſchen,<lb/>
aber ihre Beſchaͤftigungen trennten ſie bald.<lb/>
Der Jaͤger war der freyeſte von allen; aus<lb/>
ihm entwickelte ſich der Krieger und der Herr¬<lb/>ſcher. Der Theil der den Acker baute, ſich<lb/>
der Erde verſchrieb, Wohnungen und Scheu¬<lb/>
ern auffuͤhrte, um das Erworbene zu erhal¬<lb/>
ten, konnte ſich ſchon etwas duͤnken, weil<lb/>ſein Zuſtand Dauer und Sicherheit verſprach.<lb/>
Dem Hirten an ſeiner Stelle ſchien der unge¬<lb/>
meſſenſte Zuſtand ſo wie ein graͤnzenloſer<lb/>
Beſitz zu Theil geworden. Die Vermehrung<lb/></p></div></body></text></TEI>
[314/0330]
nen, alle und jede Gebote eben ſo blindlings
befolgen, als ſie ohne zu zweifeln die ſpaͤten
Erfuͤllungen ſeiner Verheißungen abzuwarten
nicht ermuͤden.
So wie eine beſondere, geoffenbarte Reli¬
gion den Begriff zum Grunde legt, daß einer
mehr von den Goͤttern beguͤnſtigt ſeyn koͤnne
als der andre, ſo entſpringt ſie auch vorzuͤg¬
lich aus der Abſonderung der Zuſtaͤnde. Nahe
verwandt ſchienen ſich die erſten Menſchen,
aber ihre Beſchaͤftigungen trennten ſie bald.
Der Jaͤger war der freyeſte von allen; aus
ihm entwickelte ſich der Krieger und der Herr¬
ſcher. Der Theil der den Acker baute, ſich
der Erde verſchrieb, Wohnungen und Scheu¬
ern auffuͤhrte, um das Erworbene zu erhal¬
ten, konnte ſich ſchon etwas duͤnken, weil
ſein Zuſtand Dauer und Sicherheit verſprach.
Dem Hirten an ſeiner Stelle ſchien der unge¬
meſſenſte Zuſtand ſo wie ein graͤnzenloſer
Beſitz zu Theil geworden. Die Vermehrung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/330>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.