Wäre es, wie schon gesagt, möglich ge¬ wesen, den Vater zu erheitern, so hätte die¬ ser veränderte Zustand wenig Drückendes ge¬ habt. Der Graf übte die strengste Uneigen¬ nützigkeit; selbst Gaben, die seiner Stelle ge¬ bührten, lehnte er ab; das Geringste was einer Bestechung hätte ähnlich sehen können, wurde mit Zorn, ja mit Strafe weggewiesen; seinen Leuten war aufs strengste befohlen, dem Haus¬ besitzer nicht die mindesten Unkosten zu ma¬ chen. Dagegen wurde uns Kindern reichlich vom Nachtische mitgetheilt. Bey dieser Gele¬ heit muß ich, um von der Unschuld jener Zeiten einen Begriff zu geben, anführen, daß die Mutter uns eines Tages höchlich betrübte, indem sie das Gefrorene, das man uns von der Tafel sendete, weggoß, weil es ihr un¬ möglich vorkam, daß der Magen ein wahr¬ haftes Eis, wenn es auch noch so durchzuckert sey, vertragen könne.
Außer diesen Leckereyen, die wir denn doch allmählich ganz gut genießen und vertragen
Waͤre es, wie ſchon geſagt, moͤglich ge¬ weſen, den Vater zu erheitern, ſo haͤtte die¬ ſer veraͤnderte Zuſtand wenig Druͤckendes ge¬ habt. Der Graf uͤbte die ſtrengſte Uneigen¬ nuͤtzigkeit; ſelbſt Gaben, die ſeiner Stelle ge¬ buͤhrten, lehnte er ab; das Geringſte was einer Beſtechung haͤtte aͤhnlich ſehen koͤnnen, wurde mit Zorn, ja mit Strafe weggewieſen; ſeinen Leuten war aufs ſtrengſte befohlen, dem Haus¬ beſitzer nicht die mindeſten Unkoſten zu ma¬ chen. Dagegen wurde uns Kindern reichlich vom Nachtiſche mitgetheilt. Bey dieſer Gele¬ heit muß ich, um von der Unſchuld jener Zeiten einen Begriff zu geben, anfuͤhren, daß die Mutter uns eines Tages hoͤchlich betruͤbte, indem ſie das Gefrorene, das man uns von der Tafel ſendete, weggoß, weil es ihr un¬ moͤglich vorkam, daß der Magen ein wahr¬ haftes Eis, wenn es auch noch ſo durchzuckert ſey, vertragen koͤnne.
Außer dieſen Leckereyen, die wir denn doch allmaͤhlich ganz gut genießen und vertragen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0208"n="192"/><p>Waͤre es, wie ſchon geſagt, moͤglich ge¬<lb/>
weſen, den Vater zu erheitern, ſo haͤtte die¬<lb/>ſer veraͤnderte Zuſtand wenig Druͤckendes ge¬<lb/>
habt. Der Graf uͤbte die ſtrengſte Uneigen¬<lb/>
nuͤtzigkeit; ſelbſt Gaben, die ſeiner Stelle ge¬<lb/>
buͤhrten, lehnte er ab; das Geringſte was einer<lb/>
Beſtechung haͤtte aͤhnlich ſehen koͤnnen, wurde<lb/>
mit Zorn, ja mit Strafe weggewieſen; ſeinen<lb/>
Leuten war aufs ſtrengſte befohlen, dem Haus¬<lb/>
beſitzer nicht die mindeſten Unkoſten zu ma¬<lb/>
chen. Dagegen wurde uns Kindern reichlich<lb/>
vom Nachtiſche mitgetheilt. Bey dieſer Gele¬<lb/>
heit muß ich, um von der Unſchuld jener<lb/>
Zeiten einen Begriff zu geben, anfuͤhren, daß<lb/>
die Mutter uns eines Tages hoͤchlich betruͤbte,<lb/>
indem ſie das Gefrorene, das man uns von<lb/>
der Tafel ſendete, weggoß, weil es ihr un¬<lb/>
moͤglich vorkam, daß der Magen ein wahr¬<lb/>
haftes Eis, wenn es auch noch ſo durchzuckert<lb/>ſey, vertragen koͤnne.</p><lb/><p>Außer dieſen Leckereyen, die wir denn doch<lb/>
allmaͤhlich ganz gut genießen und vertragen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[192/0208]
Waͤre es, wie ſchon geſagt, moͤglich ge¬
weſen, den Vater zu erheitern, ſo haͤtte die¬
ſer veraͤnderte Zuſtand wenig Druͤckendes ge¬
habt. Der Graf uͤbte die ſtrengſte Uneigen¬
nuͤtzigkeit; ſelbſt Gaben, die ſeiner Stelle ge¬
buͤhrten, lehnte er ab; das Geringſte was einer
Beſtechung haͤtte aͤhnlich ſehen koͤnnen, wurde
mit Zorn, ja mit Strafe weggewieſen; ſeinen
Leuten war aufs ſtrengſte befohlen, dem Haus¬
beſitzer nicht die mindeſten Unkoſten zu ma¬
chen. Dagegen wurde uns Kindern reichlich
vom Nachtiſche mitgetheilt. Bey dieſer Gele¬
heit muß ich, um von der Unſchuld jener
Zeiten einen Begriff zu geben, anfuͤhren, daß
die Mutter uns eines Tages hoͤchlich betruͤbte,
indem ſie das Gefrorene, das man uns von
der Tafel ſendete, weggoß, weil es ihr un¬
moͤglich vorkam, daß der Magen ein wahr¬
haftes Eis, wenn es auch noch ſo durchzuckert
ſey, vertragen koͤnne.
Außer dieſen Leckereyen, die wir denn doch
allmaͤhlich ganz gut genießen und vertragen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/208>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.