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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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aber wenig und nur in vornehmen Häusern
praktizirte, behielt bis in sein höchstes Alter
immer ein etwas wunderliches Aeußere. Er
war immer sehr nett gekleidet, und man sah
ihn nie anders auf der Straße als in Schuh
und Strümpfen und einer wohlgepuderten Lo¬
ckenperücke, den Hut unterm Arm. Er ging
schnell, doch mit einem seltsamen Schwanken vor
sich hin, so daß er bald auf dieser bald auf jener
Seite der Straße sich befand, und im Gehen
ein Zickzack bildete. Spottvögel sagten: er
suche durch diesen abweichenden Schritt den ab¬
geschiedenen Seelen aus dem Wege zu gehen,
die ihn in grader Linie wohl verfolgen möch¬
ten, und ahme diejenigen nach, die sich vor
einem Crocodil fürchten. Doch aller dieser
Scherz und manche lustige Nachrede verwan¬
delte sich zuletzt in Ehrfurcht gegen ihn, als
er seine ansehnliche Wohnung mit Hof, Gar¬
ten und allem Zubehör, auf der Eschenhei¬
mer Gasse, zu einer medicinischen Stiftung
widmete, wo neben der Anlage eines blos

aber wenig und nur in vornehmen Haͤuſern
praktizirte, behielt bis in ſein hoͤchſtes Alter
immer ein etwas wunderliches Aeußere. Er
war immer ſehr nett gekleidet, und man ſah
ihn nie anders auf der Straße als in Schuh
und Struͤmpfen und einer wohlgepuderten Lo¬
ckenperuͤcke, den Hut unterm Arm. Er ging
ſchnell, doch mit einem ſeltſamen Schwanken vor
ſich hin, ſo daß er bald auf dieſer bald auf jener
Seite der Straße ſich befand, und im Gehen
ein Zickzack bildete. Spottvoͤgel ſagten: er
ſuche durch dieſen abweichenden Schritt den ab¬
geſchiedenen Seelen aus dem Wege zu gehen,
die ihn in grader Linie wohl verfolgen moͤch¬
ten, und ahme diejenigen nach, die ſich vor
einem Crocodil fuͤrchten. Doch aller dieſer
Scherz und manche luſtige Nachrede verwan¬
delte ſich zuletzt in Ehrfurcht gegen ihn, als
er ſeine anſehnliche Wohnung mit Hof, Gar¬
ten und allem Zubehoͤr, auf der Eſchenhei¬
mer Gaſſe, zu einer mediciniſchen Stiftung
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[171/0187] aber wenig und nur in vornehmen Haͤuſern praktizirte, behielt bis in ſein hoͤchſtes Alter immer ein etwas wunderliches Aeußere. Er war immer ſehr nett gekleidet, und man ſah ihn nie anders auf der Straße als in Schuh und Struͤmpfen und einer wohlgepuderten Lo¬ ckenperuͤcke, den Hut unterm Arm. Er ging ſchnell, doch mit einem ſeltſamen Schwanken vor ſich hin, ſo daß er bald auf dieſer bald auf jener Seite der Straße ſich befand, und im Gehen ein Zickzack bildete. Spottvoͤgel ſagten: er ſuche durch dieſen abweichenden Schritt den ab¬ geſchiedenen Seelen aus dem Wege zu gehen, die ihn in grader Linie wohl verfolgen moͤch¬ ten, und ahme diejenigen nach, die ſich vor einem Crocodil fuͤrchten. Doch aller dieſer Scherz und manche luſtige Nachrede verwan¬ delte ſich zuletzt in Ehrfurcht gegen ihn, als er ſeine anſehnliche Wohnung mit Hof, Gar¬ ten und allem Zubehoͤr, auf der Eſchenhei¬ mer Gaſſe, zu einer mediciniſchen Stiftung widmete, wo neben der Anlage eines blos

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/187>, abgerufen am 24.11.2024.