Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

und Unterrichteten geben, der sich auf sich
zurückzieht und durch Studien und Liebhabe¬
reyen sich eine eigne und abgeschlossene Exi¬
stenz bildet. Von solchen wird gegenwärtig
und auch künftig die Rede seyn müssen, wenn
man sich die Eigenheiten eines Frankfurter
Bürgers aus jener Zeit vergegenwärtigen soll.

Mein Vater hatte, sobald er von Reisen
zurückgekommen, nach seiner eigenen Sinnes¬
art, den Gedanken gefaßt, daß er, um sich
zum Dienste der Stadt fähig zu machen,
eins der subalternen Aemter übernehmen und
solches ohne Emolumente führen wolle, wenn
man es ihm ohne Ballotage übergäbe. Er
glaubte nach seiner Sinnesart, nach dem Be¬
griffe den er von sich selbst hatte, im Ge¬
fühl seines guten Willens, eine solche Aus¬
zeichnung zu verdienen, die freylich weder
gesetzlich noch herkömmlich war. Daher, als
ihm sein Gesuch abgeschlagen wurde, gerieth
er in Aerger und Mismuth, verschwur je¬

und Unterrichteten geben, der ſich auf ſich
zuruͤckzieht und durch Studien und Liebhabe¬
reyen ſich eine eigne und abgeſchloſſene Exi¬
ſtenz bildet. Von ſolchen wird gegenwaͤrtig
und auch kuͤnftig die Rede ſeyn muͤſſen, wenn
man ſich die Eigenheiten eines Frankfurter
Buͤrgers aus jener Zeit vergegenwaͤrtigen ſoll.

Mein Vater hatte, ſobald er von Reiſen
zuruͤckgekommen, nach ſeiner eigenen Sinnes¬
art, den Gedanken gefaßt, daß er, um ſich
zum Dienſte der Stadt faͤhig zu machen,
eins der ſubalternen Aemter uͤbernehmen und
ſolches ohne Emolumente fuͤhren wolle, wenn
man es ihm ohne Ballotage uͤbergaͤbe. Er
glaubte nach ſeiner Sinnesart, nach dem Be¬
griffe den er von ſich ſelbſt hatte, im Ge¬
fuͤhl ſeines guten Willens, eine ſolche Aus¬
zeichnung zu verdienen, die freylich weder
geſetzlich noch herkoͤmmlich war. Daher, als
ihm ſein Geſuch abgeſchlagen wurde, gerieth
er in Aerger und Mismuth, verſchwur je¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0175" n="159"/>
und Unterrichteten geben, der &#x017F;ich auf &#x017F;ich<lb/>
zuru&#x0364;ckzieht und durch Studien und Liebhabe¬<lb/>
reyen &#x017F;ich eine eigne und abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Exi¬<lb/>
&#x017F;tenz bildet. Von &#x017F;olchen wird gegenwa&#x0364;rtig<lb/>
und auch ku&#x0364;nftig die Rede &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wenn<lb/>
man &#x017F;ich die Eigenheiten eines Frankfurter<lb/>
Bu&#x0364;rgers aus jener Zeit vergegenwa&#x0364;rtigen &#x017F;oll.</p><lb/>
          <p>Mein Vater hatte, &#x017F;obald er von Rei&#x017F;en<lb/>
zuru&#x0364;ckgekommen, nach &#x017F;einer eigenen Sinnes¬<lb/>
art, den Gedanken gefaßt, daß er, um &#x017F;ich<lb/>
zum Dien&#x017F;te der Stadt fa&#x0364;hig zu machen,<lb/>
eins der &#x017F;ubalternen Aemter u&#x0364;bernehmen und<lb/>
&#x017F;olches ohne Emolumente fu&#x0364;hren wolle, wenn<lb/>
man es ihm ohne Ballotage u&#x0364;berga&#x0364;be. Er<lb/>
glaubte nach &#x017F;einer Sinnesart, nach dem Be¬<lb/>
griffe den er von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t hatte, im Ge¬<lb/>
fu&#x0364;hl &#x017F;eines guten Willens, eine &#x017F;olche Aus¬<lb/>
zeichnung zu verdienen, die freylich weder<lb/>
ge&#x017F;etzlich noch herko&#x0364;mmlich war. Daher, als<lb/>
ihm &#x017F;ein Ge&#x017F;uch abge&#x017F;chlagen wurde, gerieth<lb/>
er in Aerger und Mismuth, ver&#x017F;chwur je¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0175] und Unterrichteten geben, der ſich auf ſich zuruͤckzieht und durch Studien und Liebhabe¬ reyen ſich eine eigne und abgeſchloſſene Exi¬ ſtenz bildet. Von ſolchen wird gegenwaͤrtig und auch kuͤnftig die Rede ſeyn muͤſſen, wenn man ſich die Eigenheiten eines Frankfurter Buͤrgers aus jener Zeit vergegenwaͤrtigen ſoll. Mein Vater hatte, ſobald er von Reiſen zuruͤckgekommen, nach ſeiner eigenen Sinnes¬ art, den Gedanken gefaßt, daß er, um ſich zum Dienſte der Stadt faͤhig zu machen, eins der ſubalternen Aemter uͤbernehmen und ſolches ohne Emolumente fuͤhren wolle, wenn man es ihm ohne Ballotage uͤbergaͤbe. Er glaubte nach ſeiner Sinnesart, nach dem Be¬ griffe den er von ſich ſelbſt hatte, im Ge¬ fuͤhl ſeines guten Willens, eine ſolche Aus¬ zeichnung zu verdienen, die freylich weder geſetzlich noch herkoͤmmlich war. Daher, als ihm ſein Geſuch abgeſchlagen wurde, gerieth er in Aerger und Mismuth, verſchwur je¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/175
Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/175>, abgerufen am 22.11.2024.