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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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schienen. So führten mich diese Kennzeichen
trüglich genug hin und wieder. Und ob ich
gleich in der Folge diesen Vorwurf als ein
durchaus leeres Mährchen betrachten mußte,
so blieb mir doch der Eindruck, und ich
konnte nicht unterlassen, die sämmtlichen
Herren, deren Bildnisse mir sehr deutlich in
der Phantasie geblieben waren, von Zeit zu
Zeit im Stillen bey mir zu mustern und zu
prüfen. So wahr ist es, daß alles was
den Menschen innerlich in seinem Dünkel
bestärkt, seiner heimlichen Eitelkeit schmei¬
chelt, ihm dergestalt höchlich erwünscht ist,
daß er nicht weiter fragt, ob es ihm sonst
auf irgend eine Weise zur Ehre oder zur
Schmach gereichen könne.

Doch anstatt hier ernsthafte, ja rügende
Betrachtungen einzumischen, wende ich lieber
meinen Blick von jenen schönen Zeiten hin¬
weg: denn wer wäre im Stande von der
Fülle der Kindheit würdig zu sprechen! Wir

ſchienen. So fuͤhrten mich dieſe Kennzeichen
truͤglich genug hin und wieder. Und ob ich
gleich in der Folge dieſen Vorwurf als ein
durchaus leeres Maͤhrchen betrachten mußte,
ſo blieb mir doch der Eindruck, und ich
konnte nicht unterlaſſen, die ſaͤmmtlichen
Herren, deren Bildniſſe mir ſehr deutlich in
der Phantaſie geblieben waren, von Zeit zu
Zeit im Stillen bey mir zu muſtern und zu
pruͤfen. So wahr iſt es, daß alles was
den Menſchen innerlich in ſeinem Duͤnkel
beſtaͤrkt, ſeiner heimlichen Eitelkeit ſchmei¬
chelt, ihm dergeſtalt hoͤchlich erwuͤnſcht iſt,
daß er nicht weiter fragt, ob es ihm ſonſt
auf irgend eine Weiſe zur Ehre oder zur
Schmach gereichen koͤnne.

Doch anſtatt hier ernſthafte, ja ruͤgende
Betrachtungen einzumiſchen, wende ich lieber
meinen Blick von jenen ſchoͤnen Zeiten hin¬
weg: denn wer waͤre im Stande von der
Fuͤlle der Kindheit wuͤrdig zu ſprechen! Wir

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[154/0170] ſchienen. So fuͤhrten mich dieſe Kennzeichen truͤglich genug hin und wieder. Und ob ich gleich in der Folge dieſen Vorwurf als ein durchaus leeres Maͤhrchen betrachten mußte, ſo blieb mir doch der Eindruck, und ich konnte nicht unterlaſſen, die ſaͤmmtlichen Herren, deren Bildniſſe mir ſehr deutlich in der Phantaſie geblieben waren, von Zeit zu Zeit im Stillen bey mir zu muſtern und zu pruͤfen. So wahr iſt es, daß alles was den Menſchen innerlich in ſeinem Duͤnkel beſtaͤrkt, ſeiner heimlichen Eitelkeit ſchmei¬ chelt, ihm dergeſtalt hoͤchlich erwuͤnſcht iſt, daß er nicht weiter fragt, ob es ihm ſonſt auf irgend eine Weiſe zur Ehre oder zur Schmach gereichen koͤnne. Doch anſtatt hier ernſthafte, ja ruͤgende Betrachtungen einzumiſchen, wende ich lieber meinen Blick von jenen ſchoͤnen Zeiten hin¬ weg: denn wer waͤre im Stande von der Fuͤlle der Kindheit wuͤrdig zu ſprechen! Wir

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/170>, abgerufen am 25.11.2024.