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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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sammen weiter fort, welches unter Kindern
immer ein erprobtes Versöhnungsmittel bleibt.

Mir war jedoch durch diese hämischen
Worte eine Art von sittlicher Krankheit ein¬
geimpft, die im Stillen fortschlich. Es
wollte mir gar nicht misfallen, der Enkel ir¬
gend eines vornehmen Herrn zu seyn, wenn
es auch nicht auf die gesetzlichste Weise ge¬
wesen wäre. Meine Spürkraft ging auf
dieser Fährte, meine Einbildungskraft war
angeregt und mein Scharfsinn aufgefordert.
Ich fing nun an die Aufgaben jener zu un¬
tersuchen, fand und erfand neue Gründe der
Wahrscheinlichkeit. Ich hatte von meinem
Großvater wenig reden hören, außer daß
sein Bildniß mit dem meiner Großmutter
in einem Besuchzimmer des alten Hauses
gehangen hatte, welche beyde, nach Erbauung
des neuen, in einer obern Cammer aufbe¬
wahrt wurden. Meine Großmutter mußte
eine sehr schöne Frau gewesen seyn, und von

ſammen weiter fort, welches unter Kindern
immer ein erprobtes Verſoͤhnungsmittel bleibt.

Mir war jedoch durch dieſe haͤmiſchen
Worte eine Art von ſittlicher Krankheit ein¬
geimpft, die im Stillen fortſchlich. Es
wollte mir gar nicht misfallen, der Enkel ir¬
gend eines vornehmen Herrn zu ſeyn, wenn
es auch nicht auf die geſetzlichſte Weiſe ge¬
weſen waͤre. Meine Spuͤrkraft ging auf
dieſer Faͤhrte, meine Einbildungskraft war
angeregt und mein Scharfſinn aufgefordert.
Ich fing nun an die Aufgaben jener zu un¬
terſuchen, fand und erfand neue Gruͤnde der
Wahrſcheinlichkeit. Ich hatte von meinem
Großvater wenig reden hoͤren, außer daß
ſein Bildniß mit dem meiner Großmutter
in einem Beſuchzimmer des alten Hauſes
gehangen hatte, welche beyde, nach Erbauung
des neuen, in einer obern Cammer aufbe¬
wahrt wurden. Meine Großmutter mußte
eine ſehr ſchoͤne Frau geweſen ſeyn, und von

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[151/0167] ſammen weiter fort, welches unter Kindern immer ein erprobtes Verſoͤhnungsmittel bleibt. Mir war jedoch durch dieſe haͤmiſchen Worte eine Art von ſittlicher Krankheit ein¬ geimpft, die im Stillen fortſchlich. Es wollte mir gar nicht misfallen, der Enkel ir¬ gend eines vornehmen Herrn zu ſeyn, wenn es auch nicht auf die geſetzlichſte Weiſe ge¬ weſen waͤre. Meine Spuͤrkraft ging auf dieſer Faͤhrte, meine Einbildungskraft war angeregt und mein Scharfſinn aufgefordert. Ich fing nun an die Aufgaben jener zu un¬ terſuchen, fand und erfand neue Gruͤnde der Wahrſcheinlichkeit. Ich hatte von meinem Großvater wenig reden hoͤren, außer daß ſein Bildniß mit dem meiner Großmutter in einem Beſuchzimmer des alten Hauſes gehangen hatte, welche beyde, nach Erbauung des neuen, in einer obern Cammer aufbe¬ wahrt wurden. Meine Großmutter mußte eine ſehr ſchoͤne Frau geweſen ſeyn, und von

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/167>, abgerufen am 17.05.2024.