Uebrigens war ich den Lügen und der Verstellung abgeneigt, und überhaupt keines¬ wegs leichtsinnig; vielmehr zeigte sich der in¬ nere Ernst, mit dem ich schon früh mich und die Welt betrachtete, auch in meinem Aeußern, und ich ward, oft freundlich, oft auch spöttisch, über eine gewisse Würde berufen, die ich mir herausnahm. Denn ob es mir zwar an guten, ausgesuchten Freunden nicht fehlte, so waren wir doch immer die Minderzahl gegen jene, die uns mit rohem Muthwillen anzufechten ein Ver¬ gnügen fanden, und uns freylich oft sehr un¬ sanft aus jenen mährchenhaften, selbstgefälli¬ gen Träumen aufweckten, in die wir uns, ich erfindend und meine Gespielen theilnehmend, nur allzugern verloren. Nun wurden wir abermals gewahr, daß man anstatt sich der Weichlichkeit und phantastischen Vergnügungen hinzugeben, wohl eher Ursache habe, sich ab¬ zuhärten, um die unvermeidlichen Uebel ent¬ weder zu ertragen, oder ihnen entgegen zu wirken.
Uebrigens war ich den Luͤgen und der Verſtellung abgeneigt, und uͤberhaupt keines¬ wegs leichtſinnig; vielmehr zeigte ſich der in¬ nere Ernſt, mit dem ich ſchon fruͤh mich und die Welt betrachtete, auch in meinem Aeußern, und ich ward, oft freundlich, oft auch ſpoͤttiſch, uͤber eine gewiſſe Wuͤrde berufen, die ich mir herausnahm. Denn ob es mir zwar an guten, ausgeſuchten Freunden nicht fehlte, ſo waren wir doch immer die Minderzahl gegen jene, die uns mit rohem Muthwillen anzufechten ein Ver¬ gnuͤgen fanden, und uns freylich oft ſehr un¬ ſanft aus jenen maͤhrchenhaften, ſelbſtgefaͤlli¬ gen Traͤumen aufweckten, in die wir uns, ich erfindend und meine Geſpielen theilnehmend, nur allzugern verloren. Nun wurden wir abermals gewahr, daß man anſtatt ſich der Weichlichkeit und phantaſtiſchen Vergnuͤgungen hinzugeben, wohl eher Urſache habe, ſich ab¬ zuhaͤrten, um die unvermeidlichen Uebel ent¬ weder zu ertragen, oder ihnen entgegen zu wirken.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0156"n="140"/><p>Uebrigens war ich den Luͤgen und der<lb/>
Verſtellung abgeneigt, und uͤberhaupt keines¬<lb/>
wegs leichtſinnig; vielmehr zeigte ſich der in¬<lb/>
nere Ernſt, mit dem ich ſchon fruͤh mich und<lb/>
die Welt betrachtete, auch in meinem Aeußern,<lb/>
und ich ward, oft freundlich, oft auch ſpoͤttiſch,<lb/>
uͤber eine gewiſſe Wuͤrde berufen, die ich mir<lb/>
herausnahm. Denn ob es mir zwar an guten,<lb/>
ausgeſuchten Freunden nicht fehlte, ſo waren<lb/>
wir doch immer die Minderzahl gegen jene, die<lb/>
uns mit rohem Muthwillen anzufechten ein Ver¬<lb/>
gnuͤgen fanden, und uns freylich oft ſehr un¬<lb/>ſanft aus jenen maͤhrchenhaften, ſelbſtgefaͤlli¬<lb/>
gen Traͤumen aufweckten, in die wir uns, ich<lb/>
erfindend und meine Geſpielen theilnehmend,<lb/>
nur allzugern verloren. Nun wurden wir<lb/>
abermals gewahr, daß man anſtatt ſich der<lb/>
Weichlichkeit und phantaſtiſchen Vergnuͤgungen<lb/>
hinzugeben, wohl eher Urſache habe, ſich ab¬<lb/>
zuhaͤrten, um die unvermeidlichen Uebel ent¬<lb/>
weder zu ertragen, oder ihnen entgegen zu<lb/>
wirken.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[140/0156]
Uebrigens war ich den Luͤgen und der
Verſtellung abgeneigt, und uͤberhaupt keines¬
wegs leichtſinnig; vielmehr zeigte ſich der in¬
nere Ernſt, mit dem ich ſchon fruͤh mich und
die Welt betrachtete, auch in meinem Aeußern,
und ich ward, oft freundlich, oft auch ſpoͤttiſch,
uͤber eine gewiſſe Wuͤrde berufen, die ich mir
herausnahm. Denn ob es mir zwar an guten,
ausgeſuchten Freunden nicht fehlte, ſo waren
wir doch immer die Minderzahl gegen jene, die
uns mit rohem Muthwillen anzufechten ein Ver¬
gnuͤgen fanden, und uns freylich oft ſehr un¬
ſanft aus jenen maͤhrchenhaften, ſelbſtgefaͤlli¬
gen Traͤumen aufweckten, in die wir uns, ich
erfindend und meine Geſpielen theilnehmend,
nur allzugern verloren. Nun wurden wir
abermals gewahr, daß man anſtatt ſich der
Weichlichkeit und phantaſtiſchen Vergnuͤgungen
hinzugeben, wohl eher Urſache habe, ſich ab¬
zuhaͤrten, um die unvermeidlichen Uebel ent¬
weder zu ertragen, oder ihnen entgegen zu
wirken.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/156>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.