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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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wo nicht verbergen, doch wenigstens verhüllen
zu können. Die Beschämung, der Frostschauer,
das Bestreben mich einigermaßen zu bedecken,
ließen mich eine höchst erbärmliche Figur spie¬
len; der Alte benutzte den Augenblick, um
mir die größesten Vorwürfe zu machen. "Was
hindert mich, rief er aus, daß ich nicht eine
der grünen Schnuren ergreife und sie, wo
nicht Eurem Hals, doch Eurem Rücken an¬
messe!" Diese Drohung nahm ich höchst
übel. Hütet Euch, rief ich aus, vor solchen
Worten, ja nur vor solchen Gedanken: denn
sonst seyd Ihr und Eure Gebieterinnen ver¬
loren! -- "Wer bist denn du, fragte er tru¬
tzig, daß du so reden darfst?" -- Ein Lieb¬
ling der Götter, sagte ich, von dem es ab¬
hängt, ob jene Frauenzimmer würdige Gatten
finden und ein glückliches Leben führen sollen,
oder ob er sie will in ihrem Zauberkloster ver¬
schmachten und veralten lassen. -- Der Alte
trat einige Schritte zurück. "Wer hat dir
das offenbart?" fragte er erstaunt und be¬

wo nicht verbergen, doch wenigſtens verhuͤllen
zu koͤnnen. Die Beſchaͤmung, der Froſtſchauer,
das Beſtreben mich einigermaßen zu bedecken,
ließen mich eine hoͤchſt erbaͤrmliche Figur ſpie¬
len; der Alte benutzte den Augenblick, um
mir die groͤßeſten Vorwuͤrfe zu machen. „Was
hindert mich, rief er aus, daß ich nicht eine
der gruͤnen Schnuren ergreife und ſie, wo
nicht Eurem Hals, doch Eurem Ruͤcken an¬
meſſe!“ Dieſe Drohung nahm ich hoͤchſt
uͤbel. Huͤtet Euch, rief ich aus, vor ſolchen
Worten, ja nur vor ſolchen Gedanken: denn
ſonſt ſeyd Ihr und Eure Gebieterinnen ver¬
loren! — „Wer biſt denn du, fragte er tru¬
tzig, daß du ſo reden darfſt?“ — Ein Lieb¬
ling der Goͤtter, ſagte ich, von dem es ab¬
haͤngt, ob jene Frauenzimmer wuͤrdige Gatten
finden und ein gluͤckliches Leben fuͤhren ſollen,
oder ob er ſie will in ihrem Zauberkloſter ver¬
ſchmachten und veralten laſſen. — Der Alte
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[134/0150] wo nicht verbergen, doch wenigſtens verhuͤllen zu koͤnnen. Die Beſchaͤmung, der Froſtſchauer, das Beſtreben mich einigermaßen zu bedecken, ließen mich eine hoͤchſt erbaͤrmliche Figur ſpie¬ len; der Alte benutzte den Augenblick, um mir die groͤßeſten Vorwuͤrfe zu machen. „Was hindert mich, rief er aus, daß ich nicht eine der gruͤnen Schnuren ergreife und ſie, wo nicht Eurem Hals, doch Eurem Ruͤcken an¬ meſſe!“ Dieſe Drohung nahm ich hoͤchſt uͤbel. Huͤtet Euch, rief ich aus, vor ſolchen Worten, ja nur vor ſolchen Gedanken: denn ſonſt ſeyd Ihr und Eure Gebieterinnen ver¬ loren! — „Wer biſt denn du, fragte er tru¬ tzig, daß du ſo reden darfſt?“ — Ein Lieb¬ ling der Goͤtter, ſagte ich, von dem es ab¬ haͤngt, ob jene Frauenzimmer wuͤrdige Gatten finden und ein gluͤckliches Leben fuͤhren ſollen, oder ob er ſie will in ihrem Zauberkloſter ver¬ ſchmachten und veralten laſſen. — Der Alte trat einige Schritte zuruͤck. „Wer hat dir das offenbart?“ fragte er erſtaunt und be¬

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/150>, abgerufen am 17.05.2024.