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Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811.

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der mit der Natur in unmittelbarer Verbin¬
dung stehe, sie als sein Werk anerkenne und
liebe, dieser schien ihm der eigentliche Gott,
der ja wohl auch mit dem Menschen wie mit
allem übrigen in ein genaueres Verhältniß tre¬
ten könne, und für denselben eben so wie für
die Bewegung der Sterne, für Tages- und
Jahrszeiten, für Pflanzen und Thiere Sor¬
ge tragen werde. Einige Stellen des Evan¬
geliums besagten dieses ausdrücklich. Eine
Gestalt konnte der Knabe diesem Wesen nicht
verleihen; er suchte ihn also in seinen Wer¬
ken auf, und wollte ihm auf gut alttestament¬
liche Weise einen Altar errichten. Naturpro¬
ducte sollten die Welt im Gleichniß vorstellen,
über diesen sollte eine Flamme brennen und
das zu seinem Schöpfer sich aufsehnende Ge¬
müth des Menschen bedeuten. Nun wurden
aus der vorhandnen und zufällig vermehrten
Naturaliensammlung die besten Stufen und
Exemplare herausgesucht; allein wie solche zu
schichten und aufzubauen seyn möchten, das

der mit der Natur in unmittelbarer Verbin¬
dung ſtehe, ſie als ſein Werk anerkenne und
liebe, dieſer ſchien ihm der eigentliche Gott,
der ja wohl auch mit dem Menſchen wie mit
allem uͤbrigen in ein genaueres Verhaͤltniß tre¬
ten koͤnne, und fuͤr denſelben eben ſo wie fuͤr
die Bewegung der Sterne, fuͤr Tages- und
Jahrszeiten, fuͤr Pflanzen und Thiere Sor¬
ge tragen werde. Einige Stellen des Evan¬
geliums beſagten dieſes ausdruͤcklich. Eine
Geſtalt konnte der Knabe dieſem Weſen nicht
verleihen; er ſuchte ihn alſo in ſeinen Wer¬
ken auf, und wollte ihm auf gut altteſtament¬
liche Weiſe einen Altar errichten. Naturpro¬
ducte ſollten die Welt im Gleichniß vorſtellen,
uͤber dieſen ſollte eine Flamme brennen und
das zu ſeinem Schoͤpfer ſich aufſehnende Ge¬
muͤth des Menſchen bedeuten. Nun wurden
aus der vorhandnen und zufaͤllig vermehrten
Naturalienſammlung die beſten Stufen und
Exemplare herausgeſucht; allein wie ſolche zu
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[85/0101] der mit der Natur in unmittelbarer Verbin¬ dung ſtehe, ſie als ſein Werk anerkenne und liebe, dieſer ſchien ihm der eigentliche Gott, der ja wohl auch mit dem Menſchen wie mit allem uͤbrigen in ein genaueres Verhaͤltniß tre¬ ten koͤnne, und fuͤr denſelben eben ſo wie fuͤr die Bewegung der Sterne, fuͤr Tages- und Jahrszeiten, fuͤr Pflanzen und Thiere Sor¬ ge tragen werde. Einige Stellen des Evan¬ geliums beſagten dieſes ausdruͤcklich. Eine Geſtalt konnte der Knabe dieſem Weſen nicht verleihen; er ſuchte ihn alſo in ſeinen Wer¬ ken auf, und wollte ihm auf gut altteſtament¬ liche Weiſe einen Altar errichten. Naturpro¬ ducte ſollten die Welt im Gleichniß vorſtellen, uͤber dieſen ſollte eine Flamme brennen und das zu ſeinem Schoͤpfer ſich aufſehnende Ge¬ muͤth des Menſchen bedeuten. Nun wurden aus der vorhandnen und zufaͤllig vermehrten Naturalienſammlung die beſten Stufen und Exemplare herausgeſucht; allein wie ſolche zu ſchichten und aufzubauen ſeyn moͤchten, das

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bd. 1. Tübingen, 1811, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_leben01_1811/101>, abgerufen am 09.11.2024.