Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.Iphigenie auf Tauris Du liebst, Diane, deinen holden BruderVor allem, was dir Erd' und Himmel biethet, Und wendest dein jungfräulich Angesicht Nach seinem ew'gen Lichte sehnend still. O laß den einz'gen spätgefundnen mir Nicht in der Finsterniß des Wahnsinns rasen! Und ist dein Wille, da du hier mich bargst, Nunmehr vollendet, willst du mir durch ihn Und ihm durch mich die sel'ge Hülfe geben; So lös' ihn von den Banden jenes Fluchs, Daß nicht die theure Zeit der Rettung schwinde. Pylades. Erkennst du uns und diesen heil'gen Hain Und dieses Licht, das nicht den Todten leuchtet? Fühlst du den Arm des Freundes und der Schwester, Die dich noch fest, noch lebend halten? Faß' Uns kräftig an; wir sind nicht leere Schatten. Merk auf mein Wort! Vernimm es! Raffe dich Zusammen! Jeder Augenblick ist theuer, Und unsre Rückkehr hängt an zarten Fäden, Die, scheint es, eine günst'ge Parze spinnt. Iphigenie auf Tauris Du liebſt, Diane, deinen holden BruderVor allem, was dir Erd’ und Himmel biethet, Und wendeſt dein jungfräulich Angeſicht Nach ſeinem ew’gen Lichte ſehnend ſtill. O laß den einz’gen ſpätgefundnen mir Nicht in der Finſterniß des Wahnſinns raſen! Und iſt dein Wille, da du hier mich bargſt, Nunmehr vollendet, willſt du mir durch ihn Und ihm durch mich die ſel’ge Hülfe geben; So löſ’ ihn von den Banden jenes Fluchs, Daß nicht die theure Zeit der Rettung ſchwinde. Pylades. Erkennſt du uns und dieſen heil’gen Hain Und dieſes Licht, das nicht den Todten leuchtet? Fühlſt du den Arm des Freundes und der Schweſter, Die dich noch feſt, noch lebend halten? Faß’ Uns kräftig an; wir ſind nicht leere Schatten. Merk auf mein Wort! Vernimm es! Raffe dich Zuſammen! Jeder Augenblick iſt theuer, Und unſre Rückkehr hängt an zarten Fäden, Die, ſcheint es, eine günſt’ge Parze ſpinnt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#IPH"> <p><pb facs="#f0089" n="80"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Iphigenie auf Tauris</hi></fw><lb/> Du liebſt, Diane, deinen holden Bruder<lb/> Vor allem, was dir Erd’ und Himmel biethet,<lb/> Und wendeſt dein jungfräulich Angeſicht<lb/> Nach ſeinem ew’gen Lichte ſehnend ſtill.<lb/> O laß den einz’gen ſpätgefundnen mir<lb/> Nicht in der Finſterniß des Wahnſinns raſen!<lb/> Und iſt dein Wille, da du hier mich bargſt,<lb/> Nunmehr vollendet, willſt du mir durch ihn<lb/> Und ihm durch mich die ſel’ge Hülfe geben;<lb/> So löſ’ ihn von den Banden jenes Fluchs,<lb/> Daß nicht die theure Zeit der Rettung ſchwinde.</p> </sp><lb/> <sp who="#PYL"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Pylades.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Erkennſt du uns und dieſen heil’gen Hain<lb/> Und dieſes Licht, das nicht den Todten leuchtet?<lb/> Fühlſt du den Arm des Freundes und der<lb/> Schweſter,<lb/> Die dich noch feſt, noch lebend halten? Faß’<lb/> Uns kräftig an; wir ſind nicht leere Schatten.<lb/> Merk auf mein Wort! Vernimm es! Raffe dich<lb/> Zuſammen! Jeder Augenblick iſt theuer,<lb/> Und unſre Rückkehr hängt an zarten Fäden,<lb/> Die, ſcheint es, eine günſt’ge Parze ſpinnt.</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [80/0089]
Iphigenie auf Tauris
Du liebſt, Diane, deinen holden Bruder
Vor allem, was dir Erd’ und Himmel biethet,
Und wendeſt dein jungfräulich Angeſicht
Nach ſeinem ew’gen Lichte ſehnend ſtill.
O laß den einz’gen ſpätgefundnen mir
Nicht in der Finſterniß des Wahnſinns raſen!
Und iſt dein Wille, da du hier mich bargſt,
Nunmehr vollendet, willſt du mir durch ihn
Und ihm durch mich die ſel’ge Hülfe geben;
So löſ’ ihn von den Banden jenes Fluchs,
Daß nicht die theure Zeit der Rettung ſchwinde.
Pylades.
Erkennſt du uns und dieſen heil’gen Hain
Und dieſes Licht, das nicht den Todten leuchtet?
Fühlſt du den Arm des Freundes und der
Schweſter,
Die dich noch feſt, noch lebend halten? Faß’
Uns kräftig an; wir ſind nicht leere Schatten.
Merk auf mein Wort! Vernimm es! Raffe dich
Zuſammen! Jeder Augenblick iſt theuer,
Und unſre Rückkehr hängt an zarten Fäden,
Die, ſcheint es, eine günſt’ge Parze ſpinnt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |