Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.Iphigenie auf Tauris Mit Fluch beladen stieg er herab.Doch leichter träget sich hier jede Bürde: Nehmt ihn, o nehmt ihn in euern Kreis! -- Dich, Atreus, ehr' ich, auch dich Thyesten; Wir sind hier alle der Feindschaft los. -- Zeigt mir den Vater, den ich nur Einmal Im Leben sah! -- Bist du's, mein Vater? Und führst die Mutter vertraut mit dir? Darf Klytemnestra die Hand dir reichen; So darf Orest auch zu ihr treten Und darf ihr sagen: sieh deinen Sohn! -- Seht euern Sohn! Heißt ihn willkommen. Auf Erden war in unserm Hause Der Gruß des Mordes gewisse Losung, Und das Geschlecht des alten Tantalus Hat seine Freuden jenseits der Nacht. Ihr ruft, Willkommen! und nehmt mich auf! O führt zum Alten, zum Ahnherrn mich! Wo ist der Alte? daß ich ihn sehe, Das theure Haupt, das vielverehrte, Das mit den Göttern zu Rathe saß. Ihr scheint zu zaudern, euch wegzuwenden? Was ist es? Leidet der Göttergleiche? Iphigenie auf Tauris Mit Fluch beladen ſtieg er herab.Doch leichter träget ſich hier jede Bürde: Nehmt ihn, o nehmt ihn in euern Kreis! — Dich, Atreus, ehr’ ich, auch dich Thyeſten; Wir ſind hier alle der Feindſchaft los. — Zeigt mir den Vater, den ich nur Einmal Im Leben ſah! — Biſt du’s, mein Vater? Und führſt die Mutter vertraut mit dir? Darf Klytemneſtra die Hand dir reichen; So darf Oreſt auch zu ihr treten Und darf ihr ſagen: ſieh deinen Sohn! — Seht euern Sohn! Heißt ihn willkommen. Auf Erden war in unſerm Hauſe Der Gruß des Mordes gewiſſe Loſung, Und das Geſchlecht des alten Tantalus Hat ſeine Freuden jenſeits der Nacht. Ihr ruft, Willkommen! und nehmt mich auf! O führt zum Alten, zum Ahnherrn mich! Wo iſt der Alte? daß ich ihn ſehe, Das theure Haupt, das vielverehrte, Das mit den Göttern zu Rathe ſaß. Ihr ſcheint zu zaudern, euch wegzuwenden? Was iſt es? Leidet der Göttergleiche? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#ORE"> <p><pb facs="#f0087" n="78"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Iphigenie auf Tauris</hi></fw><lb/> Mit Fluch beladen ſtieg er herab.<lb/> Doch leichter träget ſich hier jede Bürde:<lb/> Nehmt ihn, o nehmt ihn in euern Kreis! —<lb/> Dich, Atreus, ehr’ ich, auch dich Thyeſten;<lb/> Wir ſind hier alle der Feindſchaft los. —<lb/> Zeigt mir den Vater, den ich nur Einmal<lb/> Im Leben ſah! — Biſt du’s, mein Vater?<lb/> Und führſt die Mutter vertraut mit dir?<lb/> Darf Klytemneſtra die Hand dir reichen;<lb/> So darf Oreſt auch zu ihr treten<lb/> Und darf ihr ſagen: ſieh deinen Sohn! —<lb/> Seht euern Sohn! Heißt ihn willkommen.<lb/> Auf Erden war in unſerm Hauſe<lb/> Der Gruß des Mordes gewiſſe Loſung,<lb/> Und das Geſchlecht des alten Tantalus<lb/> Hat ſeine Freuden jenſeits der Nacht.<lb/> Ihr ruft, Willkommen! und nehmt mich auf!<lb/> O führt zum Alten, zum Ahnherrn mich!<lb/> Wo iſt der Alte? daß ich ihn ſehe,<lb/> Das theure Haupt, das vielverehrte,<lb/> Das mit den Göttern zu Rathe ſaß.<lb/> Ihr ſcheint zu zaudern, euch wegzuwenden?<lb/> Was iſt es? Leidet der Göttergleiche?<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [78/0087]
Iphigenie auf Tauris
Mit Fluch beladen ſtieg er herab.
Doch leichter träget ſich hier jede Bürde:
Nehmt ihn, o nehmt ihn in euern Kreis! —
Dich, Atreus, ehr’ ich, auch dich Thyeſten;
Wir ſind hier alle der Feindſchaft los. —
Zeigt mir den Vater, den ich nur Einmal
Im Leben ſah! — Biſt du’s, mein Vater?
Und führſt die Mutter vertraut mit dir?
Darf Klytemneſtra die Hand dir reichen;
So darf Oreſt auch zu ihr treten
Und darf ihr ſagen: ſieh deinen Sohn! —
Seht euern Sohn! Heißt ihn willkommen.
Auf Erden war in unſerm Hauſe
Der Gruß des Mordes gewiſſe Loſung,
Und das Geſchlecht des alten Tantalus
Hat ſeine Freuden jenſeits der Nacht.
Ihr ruft, Willkommen! und nehmt mich auf!
O führt zum Alten, zum Ahnherrn mich!
Wo iſt der Alte? daß ich ihn ſehe,
Das theure Haupt, das vielverehrte,
Das mit den Göttern zu Rathe ſaß.
Ihr ſcheint zu zaudern, euch wegzuwenden?
Was iſt es? Leidet der Göttergleiche?
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_iphigenie_1787/87>, abgerufen am 07.07.2024. |