Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.Ein Schauspiel. Das Ende derer, die von Troja kehrendEin hartes unerwartetes Geschick Auf ihrer Wohnung Schwelle stumm empfing. Zwar ward ich jung an diesen Strand geführt; Doch wohl erinnr' ich mich des scheuen Blicks, Den ich mit Staunen und mit Bangigkeit Auf jene Helden warf. Sie zogen aus, Als hätte der Olymp sich aufgethan Und die Gestalten der erlauchten Vorwelt Zum Schrecken Ilions herabgesendet, Und Agamemnon war vor allen herrlich! O sage mir! Er fiel, sein Haus betretend, Durch seiner Frauen und Ägisthus Tücke? Orest. Du sagst's! Iphigenie. Weh dir, unseliges Mycen! So haben Tantals Enkel Fluch auf Fluch Mit vollen wilden Händen ausgesät! Und gleich dem Unkraut, wüste Häupter schüttelnd Und tausendfält'gen Samen um sich streuend, Den Kindes Kindern nahverwandte Mörder Ein Schauſpiel. Das Ende derer, die von Troja kehrendEin hartes unerwartetes Geſchick Auf ihrer Wohnung Schwelle ſtumm empfing. Zwar ward ich jung an dieſen Strand geführt; Doch wohl erinnr’ ich mich des ſcheuen Blicks, Den ich mit Staunen und mit Bangigkeit Auf jene Helden warf. Sie zogen aus, Als hätte der Olymp ſich aufgethan Und die Geſtalten der erlauchten Vorwelt Zum Schrecken Ilions herabgeſendet, Und Agamemnon war vor allen herrlich! O ſage mir! Er fiel, ſein Haus betretend, Durch ſeiner Frauen und Ägiſthus Tücke? Oreſt. Du ſagſt’s! Iphigenie. Weh dir, unſeliges Mycen! So haben Tantals Enkel Fluch auf Fluch Mit vollen wilden Händen ausgeſät! Und gleich dem Unkraut, wüſte Häupter ſchüttelnd Und tauſendfält’gen Samen um ſich ſtreuend, Den Kindes Kindern nahverwandte Mörder <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#IPH"> <p><pb facs="#f0068" n="59"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ein Schauſpiel</hi>.</fw><lb/> Das Ende derer, die von Troja kehrend<lb/> Ein hartes unerwartetes Geſchick<lb/> Auf ihrer Wohnung Schwelle ſtumm empfing.<lb/> Zwar ward ich jung an dieſen Strand geführt;<lb/> Doch wohl erinnr’ ich mich des ſcheuen Blicks,<lb/> Den ich mit Staunen und mit Bangigkeit<lb/> Auf jene Helden warf. Sie zogen aus,<lb/> Als hätte der Olymp ſich aufgethan<lb/> Und die Geſtalten der erlauchten Vorwelt<lb/> Zum Schrecken Ilions herabgeſendet,<lb/> Und Agamemnon war vor allen herrlich!<lb/> O ſage mir! Er fiel, ſein Haus betretend,<lb/> Durch ſeiner Frauen und Ägiſthus Tücke?</p> </sp><lb/> <sp who="#ORE"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Oreſt</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Du ſagſt’s!</p> </sp><lb/> <sp who="#IPH"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Iphigenie</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p><hi rendition="#et">Weh dir, unſeliges Mycen!</hi><lb/> So haben Tantals Enkel Fluch auf Fluch<lb/> Mit vollen wilden Händen ausgeſät!<lb/> Und gleich dem Unkraut, wüſte Häupter ſchüttelnd<lb/> Und tauſendfält’gen Samen um ſich ſtreuend,<lb/> Den Kindes Kindern nahverwandte Mörder<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [59/0068]
Ein Schauſpiel.
Das Ende derer, die von Troja kehrend
Ein hartes unerwartetes Geſchick
Auf ihrer Wohnung Schwelle ſtumm empfing.
Zwar ward ich jung an dieſen Strand geführt;
Doch wohl erinnr’ ich mich des ſcheuen Blicks,
Den ich mit Staunen und mit Bangigkeit
Auf jene Helden warf. Sie zogen aus,
Als hätte der Olymp ſich aufgethan
Und die Geſtalten der erlauchten Vorwelt
Zum Schrecken Ilions herabgeſendet,
Und Agamemnon war vor allen herrlich!
O ſage mir! Er fiel, ſein Haus betretend,
Durch ſeiner Frauen und Ägiſthus Tücke?
Oreſt.
Du ſagſt’s!
Iphigenie.
Weh dir, unſeliges Mycen!
So haben Tantals Enkel Fluch auf Fluch
Mit vollen wilden Händen ausgeſät!
Und gleich dem Unkraut, wüſte Häupter ſchüttelnd
Und tauſendfält’gen Samen um ſich ſtreuend,
Den Kindes Kindern nahverwandte Mörder
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_iphigenie_1787/68>, abgerufen am 07.07.2024. |