Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.Ein Schauspiel. Als einen ehmals HochbegnadigtenDer Götter kennt? Ist's jener Tantalus, Den Jupiter zu Rath und Tafel zog, An dessen alterfahrnen, vielen Sinn Verknüpfenden Gesprächen Götter selbst, Wie an Orakelsprüchen sich ergetzten? Iphigenie. Er ist es; aber Götter sollten nicht Mit Menschen, wie mit ihres Gleichen, wan- deln; Das sterbliche Geschlecht ist viel zu schwach In ungewohnter Höhe nicht zu schwindeln. Unedel war er nicht und kein Verräther; Allein zum Knecht zu groß, und zum Gesellen Des großen Donn'rers nur ein Mensch. So war Auch sein Vergehen menschlich; ihr Gericht War streng, und Dichter singen: Übermuth Und Untreu stürzten ihn von Jovis Tisch Zur Schmach des alten Tartarus hinab. Ach und sein ganz Geschlecht trug ihren Haß! Thoas. Trug es die Schuld des Ahnherrn oder eigne? Ein Schauſpiel. Als einen ehmals HochbegnadigtenDer Götter kennt? Iſt’s jener Tantalus, Den Jupiter zu Rath und Tafel zog, An deſſen alterfahrnen, vielen Sinn Verknüpfenden Geſprächen Götter ſelbſt, Wie an Orakelſprüchen ſich ergetzten? Iphigenie. Er iſt es; aber Götter ſollten nicht Mit Menſchen, wie mit ihres Gleichen, wan- deln; Das ſterbliche Geſchlecht iſt viel zu ſchwach In ungewohnter Höhe nicht zu ſchwindeln. Unedel war er nicht und kein Verräther; Allein zum Knecht zu groß, und zum Geſellen Des großen Donn’rers nur ein Menſch. So war Auch ſein Vergehen menſchlich; ihr Gericht War ſtreng, und Dichter ſingen: Übermuth Und Untreu ſtürzten ihn von Jovis Tiſch Zur Schmach des alten Tartarus hinab. Ach und ſein ganz Geſchlecht trug ihren Haß! Thoas. Trug es die Schuld des Ahnherrn oder eigne? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#THO"> <p><pb facs="#f0030" n="21"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ein Schauſpiel.</hi></fw><lb/> Als einen ehmals Hochbegnadigten<lb/> Der Götter kennt? Iſt’s jener Tantalus,<lb/> Den Jupiter zu Rath und Tafel zog,<lb/> An deſſen alterfahrnen, vielen Sinn<lb/> Verknüpfenden Geſprächen Götter ſelbſt,<lb/> Wie an Orakelſprüchen ſich ergetzten?</p> </sp><lb/> <sp who="#IPH"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Iphigenie.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Er iſt es; aber Götter ſollten nicht<lb/> Mit Menſchen, wie mit ihres Gleichen, wan-<lb/> deln;<lb/> Das ſterbliche Geſchlecht iſt viel zu ſchwach<lb/> In ungewohnter Höhe nicht zu ſchwindeln.<lb/> Unedel war er nicht und kein Verräther;<lb/> Allein zum Knecht zu groß, und zum Geſellen<lb/> Des großen Donn’rers nur ein Menſch. So war<lb/> Auch ſein Vergehen menſchlich; ihr Gericht<lb/> War ſtreng, und Dichter ſingen: Übermuth<lb/> Und Untreu ſtürzten ihn von Jovis Tiſch<lb/> Zur Schmach des alten Tartarus hinab.<lb/> Ach und ſein ganz Geſchlecht trug ihren Haß!</p> </sp><lb/> <sp who="#THO"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Thoas.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Trug es die Schuld des Ahnherrn oder eigne?</p> </sp><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [21/0030]
Ein Schauſpiel.
Als einen ehmals Hochbegnadigten
Der Götter kennt? Iſt’s jener Tantalus,
Den Jupiter zu Rath und Tafel zog,
An deſſen alterfahrnen, vielen Sinn
Verknüpfenden Geſprächen Götter ſelbſt,
Wie an Orakelſprüchen ſich ergetzten?
Iphigenie.
Er iſt es; aber Götter ſollten nicht
Mit Menſchen, wie mit ihres Gleichen, wan-
deln;
Das ſterbliche Geſchlecht iſt viel zu ſchwach
In ungewohnter Höhe nicht zu ſchwindeln.
Unedel war er nicht und kein Verräther;
Allein zum Knecht zu groß, und zum Geſellen
Des großen Donn’rers nur ein Menſch. So war
Auch ſein Vergehen menſchlich; ihr Gericht
War ſtreng, und Dichter ſingen: Übermuth
Und Untreu ſtürzten ihn von Jovis Tiſch
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_iphigenie_1787/30>, abgerufen am 07.07.2024. |