Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787.Iphigenie auf Tauris Dritter Auftritt. Iphigenie allein. Von dieses Mannes Rede fühl' ich mir Zur ungelegnen Zeit das Herz im Busen Auf einmal umgewendet. Ich erschrecke! -- Denn wie die Fluth mit schnellen Strömen wachsend Die Felsen überspült, die in dem Sand' Am Ufer liegen: so bedeckte ganz Ein Freudenstrom mein Innerstes. Ich hielt In meinen Armen das Unmögliche. Es schien sich eine Wolke wieder sanft Um mich zu legen, von der Erde mich Empor zu heben und in jenen Schlummer Mich einzuwiegen, den die gute Göttinn Um meine Schläfe legte, da ihr Arm Mich rettend faßte. -- Meinen Bruder Ergriff das Herz mit einziger Gewalt: Ich horchte nur auf seines Freundes Rath; Nur sie zu retten drang die Seele vorwärts. Und wie den Klippen einer wüsten Insel Der Schiffer gern den Rücken wendet: so Iphigenie auf Tauris Dritter Auftritt. Iphigenie allein. Von dieſes Mannes Rede fühl’ ich mir Zur ungelegnen Zeit das Herz im Buſen Auf einmal umgewendet. Ich erſchrecke! — Denn wie die Fluth mit ſchnellen Strömen wachſend Die Felſen überſpült, die in dem Sand’ Am Ufer liegen: ſo bedeckte ganz Ein Freudenſtrom mein Innerſtes. Ich hielt In meinen Armen das Unmögliche. Es ſchien ſich eine Wolke wieder ſanft Um mich zu legen, von der Erde mich Empor zu heben und in jenen Schlummer Mich einzuwiegen, den die gute Göttinn Um meine Schläfe legte, da ihr Arm Mich rettend faßte. — Meinen Bruder Ergriff das Herz mit einziger Gewalt: Ich horchte nur auf ſeines Freundes Rath; Nur ſie zu retten drang die Seele vorwärts. Und wie den Klippen einer wüſten Inſel Der Schiffer gern den Rücken wendet: ſo <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#ARK"> <pb facs="#f0101" n="92"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#g">Iphigenie auf Tauris</hi> </fw> </sp> </div><lb/> <div n="3"> <head><hi rendition="#g">Dritter Auftritt</hi>.</head><lb/> <sp who="#IPH"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Iphigenie</hi> </hi> </speaker> <stage>allein.</stage><lb/> <p>Von dieſes Mannes Rede fühl’ ich mir<lb/> Zur ungelegnen Zeit das Herz im Buſen<lb/> Auf einmal umgewendet. Ich erſchrecke! —<lb/> Denn wie die Fluth mit ſchnellen Strömen<lb/> wachſend<lb/> Die Felſen überſpült, die in dem Sand’<lb/> Am Ufer liegen: ſo bedeckte ganz<lb/> Ein Freudenſtrom mein Innerſtes. Ich hielt<lb/> In meinen Armen das Unmögliche.<lb/> Es ſchien ſich eine Wolke wieder ſanft<lb/> Um mich zu legen, von der Erde mich<lb/> Empor zu heben und in jenen Schlummer<lb/> Mich einzuwiegen, den die gute Göttinn<lb/> Um meine Schläfe legte, da ihr Arm<lb/> Mich rettend faßte. — Meinen Bruder<lb/> Ergriff das Herz mit einziger Gewalt:<lb/> Ich horchte nur auf ſeines Freundes Rath;<lb/> Nur ſie zu retten drang die Seele vorwärts.<lb/> Und wie den Klippen einer wüſten Inſel<lb/> Der Schiffer gern den Rücken wendet: ſo<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [92/0101]
Iphigenie auf Tauris
Dritter Auftritt.
Iphigenie allein.
Von dieſes Mannes Rede fühl’ ich mir
Zur ungelegnen Zeit das Herz im Buſen
Auf einmal umgewendet. Ich erſchrecke! —
Denn wie die Fluth mit ſchnellen Strömen
wachſend
Die Felſen überſpült, die in dem Sand’
Am Ufer liegen: ſo bedeckte ganz
Ein Freudenſtrom mein Innerſtes. Ich hielt
In meinen Armen das Unmögliche.
Es ſchien ſich eine Wolke wieder ſanft
Um mich zu legen, von der Erde mich
Empor zu heben und in jenen Schlummer
Mich einzuwiegen, den die gute Göttinn
Um meine Schläfe legte, da ihr Arm
Mich rettend faßte. — Meinen Bruder
Ergriff das Herz mit einziger Gewalt:
Ich horchte nur auf ſeines Freundes Rath;
Nur ſie zu retten drang die Seele vorwärts.
Und wie den Klippen einer wüſten Inſel
Der Schiffer gern den Rücken wendet: ſo
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Zitationshilfe: | Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Leipzig, 1787, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_iphigenie_1787/101>, abgerufen am 07.07.2024. |