Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808.Ich grüße dich, du einzige Phiole! Die ich mit Andacht nun herunterhole, In dir verehr' ich Menschenwitz und Kunst. Du Inbegriff der holden Schlummersäfte, Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte, Erweise deinem Meister deine Gunst! Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert, Ich fasse dich, das Streben wird gemindert, Des Geistes Fluthstrom ebbet nach und nach. Ins hohe Meer werd' ich hinausgewiesen, Die Spiegelfluth erglänzt zu meinen Füßen, Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag. Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten Schwingen, An mich heran! Ich fühle mich bereit Auf neuer Bahn den Aether zu durchdringen, Zu neuen Sphären reiner Thätigkeit. Dieß hohe Leben, diese Götterwonne! Du, erst noch Wurm, und die verdienest du? Ja, kehre nur der holden Erdensonne Entschlossen deinen Rücken zu! Vermesse dich die Pforten aufzureißen, Ich gruͤße dich, du einzige Phiole! Die ich mit Andacht nun herunterhole, In dir verehr’ ich Menſchenwitz und Kunſt. Du Inbegriff der holden Schlummerſaͤfte, Du Auszug aller toͤdlich feinen Kraͤfte, Erweiſe deinem Meiſter deine Gunſt! Ich ſehe dich, es wird der Schmerz gelindert, Ich faſſe dich, das Streben wird gemindert, Des Geiſtes Fluthſtrom ebbet nach und nach. Ins hohe Meer werd’ ich hinausgewieſen, Die Spiegelfluth erglaͤnzt zu meinen Fuͤßen, Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag. Ein Feuerwagen ſchwebt, auf leichten Schwingen, An mich heran! Ich fuͤhle mich bereit Auf neuer Bahn den Aether zu durchdringen, Zu neuen Sphaͤren reiner Thaͤtigkeit. Dieß hohe Leben, dieſe Goͤtterwonne! Du, erſt noch Wurm, und die verdieneſt du? Ja, kehre nur der holden Erdenſonne Entſchloſſen deinen Ruͤcken zu! Vermeſſe dich die Pforten aufzureißen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#FAU"> <pb facs="#f0057" n="51"/> <p>Ich gruͤße dich, du einzige Phiole!<lb/> Die ich mit Andacht nun herunterhole,<lb/> In dir verehr’ ich Menſchenwitz und Kunſt.<lb/> Du Inbegriff der holden Schlummerſaͤfte,<lb/> Du Auszug aller toͤdlich feinen Kraͤfte,<lb/> Erweiſe deinem Meiſter deine Gunſt!<lb/> Ich ſehe dich, es wird der Schmerz gelindert,<lb/> Ich faſſe dich, das Streben wird gemindert,<lb/> Des Geiſtes Fluthſtrom ebbet nach und nach.<lb/> Ins hohe Meer werd’ ich hinausgewieſen,<lb/> Die Spiegelfluth erglaͤnzt zu meinen Fuͤßen,<lb/> Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.</p><lb/> <p>Ein Feuerwagen ſchwebt, auf leichten Schwingen,<lb/> An mich heran! Ich fuͤhle mich bereit<lb/> Auf neuer Bahn den Aether zu durchdringen,<lb/> Zu neuen Sphaͤren reiner Thaͤtigkeit.<lb/> Dieß hohe Leben, dieſe Goͤtterwonne!<lb/> Du, erſt noch Wurm, und die verdieneſt du?<lb/> Ja, kehre nur der holden Erdenſonne<lb/> Entſchloſſen deinen Ruͤcken zu!<lb/> Vermeſſe dich die Pforten aufzureißen,<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [51/0057]
Ich gruͤße dich, du einzige Phiole!
Die ich mit Andacht nun herunterhole,
In dir verehr’ ich Menſchenwitz und Kunſt.
Du Inbegriff der holden Schlummerſaͤfte,
Du Auszug aller toͤdlich feinen Kraͤfte,
Erweiſe deinem Meiſter deine Gunſt!
Ich ſehe dich, es wird der Schmerz gelindert,
Ich faſſe dich, das Streben wird gemindert,
Des Geiſtes Fluthſtrom ebbet nach und nach.
Ins hohe Meer werd’ ich hinausgewieſen,
Die Spiegelfluth erglaͤnzt zu meinen Fuͤßen,
Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.
Ein Feuerwagen ſchwebt, auf leichten Schwingen,
An mich heran! Ich fuͤhle mich bereit
Auf neuer Bahn den Aether zu durchdringen,
Zu neuen Sphaͤren reiner Thaͤtigkeit.
Dieß hohe Leben, dieſe Goͤtterwonne!
Du, erſt noch Wurm, und die verdieneſt du?
Ja, kehre nur der holden Erdenſonne
Entſchloſſen deinen Ruͤcken zu!
Vermeſſe dich die Pforten aufzureißen,
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