Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Eine Tragödie. Tübingen, 1808.
Nur mit Entsetzen wach' ich Morgens auf, Ich möchte bittre Thränen weinen, Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf Nicht Einen Wunsch erfüllen wird, nicht Einen, Der selbst die Ahndung jeder Lust Mit eigensinnigem Krittel mindert, Die Schöpfung meiner regen Brust Mit tausend Lebensfratzen hindert. Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt, Mich ängstlich auf das Lager strecken, Auch da wird keine Rast geschenkt, Mich werden wilde Träume schrecken. Der Gott, der mir im Busen wohnt, Kann tief mein Innerstes erregen, Der über allen meinen Kräften thront, Er kann nach außen nichts bewegen; Und so ist mir das Daseyn eine Last, Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt. Mephistopheles. Und doch ist nie der Tod ein ganz willkommner Gast. Faust. O seelig der! dem er im Siegesglanze
Nur mit Entſetzen wach’ ich Morgens auf, Ich moͤchte bittre Thraͤnen weinen, Den Tag zu ſehn, der mir in ſeinem Lauf Nicht Einen Wunſch erfuͤllen wird, nicht Einen, Der ſelbſt die Ahndung jeder Luſt Mit eigenſinnigem Krittel mindert, Die Schoͤpfung meiner regen Bruſt Mit tauſend Lebensfratzen hindert. Auch muß ich, wenn die Nacht ſich niederſenkt, Mich aͤngſtlich auf das Lager ſtrecken, Auch da wird keine Raſt geſchenkt, Mich werden wilde Traͤume ſchrecken. Der Gott, der mir im Buſen wohnt, Kann tief mein Innerſtes erregen, Der uͤber allen meinen Kraͤften thront, Er kann nach außen nichts bewegen; Und ſo iſt mir das Daſeyn eine Laſt, Der Tod erwuͤnſcht, das Leben mir verhaßt. Mephiſtopheles. Und doch iſt nie der Tod ein ganz willkommner Gaſt. Fauſt. O ſeelig der! dem er im Siegesglanze <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#FAU"> <p><pb facs="#f0105" n="99"/> Nur mit Entſetzen wach’ ich Morgens auf,<lb/> Ich moͤchte bittre Thraͤnen weinen,<lb/> Den Tag zu ſehn, der mir in ſeinem Lauf<lb/> Nicht Einen Wunſch erfuͤllen wird, nicht Einen,<lb/> Der ſelbſt die Ahndung jeder Luſt<lb/> Mit eigenſinnigem Krittel mindert,<lb/> Die Schoͤpfung meiner regen Bruſt<lb/> Mit tauſend Lebensfratzen hindert.<lb/> Auch muß ich, wenn die Nacht ſich niederſenkt,<lb/> Mich aͤngſtlich auf das Lager ſtrecken,<lb/> Auch da wird keine Raſt geſchenkt,<lb/> Mich werden wilde Traͤume ſchrecken.<lb/> Der Gott, der mir im Buſen wohnt,<lb/> Kann tief mein Innerſtes erregen,<lb/> Der uͤber allen meinen Kraͤften thront,<lb/> Er kann nach außen nichts bewegen;<lb/> Und ſo iſt mir das Daſeyn eine Laſt,<lb/> Der Tod erwuͤnſcht, das Leben mir verhaßt.</p> </sp><lb/> <sp who="#MEP"> <speaker><hi rendition="#g">Mephiſtopheles</hi>.</speaker><lb/> <p>Und doch iſt nie der Tod ein ganz willkommner Gaſt.</p> </sp><lb/> <sp who="#FAU"> <speaker><hi rendition="#g">Fauſt</hi>.</speaker><lb/> <p>O ſeelig der! dem er im Siegesglanze<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [99/0105]
Nur mit Entſetzen wach’ ich Morgens auf,
Ich moͤchte bittre Thraͤnen weinen,
Den Tag zu ſehn, der mir in ſeinem Lauf
Nicht Einen Wunſch erfuͤllen wird, nicht Einen,
Der ſelbſt die Ahndung jeder Luſt
Mit eigenſinnigem Krittel mindert,
Die Schoͤpfung meiner regen Bruſt
Mit tauſend Lebensfratzen hindert.
Auch muß ich, wenn die Nacht ſich niederſenkt,
Mich aͤngſtlich auf das Lager ſtrecken,
Auch da wird keine Raſt geſchenkt,
Mich werden wilde Traͤume ſchrecken.
Der Gott, der mir im Buſen wohnt,
Kann tief mein Innerſtes erregen,
Der uͤber allen meinen Kraͤften thront,
Er kann nach außen nichts bewegen;
Und ſo iſt mir das Daſeyn eine Laſt,
Der Tod erwuͤnſcht, das Leben mir verhaßt.
Mephiſtopheles.
Und doch iſt nie der Tod ein ganz willkommner Gaſt.
Fauſt.
O ſeelig der! dem er im Siegesglanze
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