sie nach beyden Seiten auch von angränzenden Farben gebraucht werden. Ihr Gelbes neigt sich einerseits ins Rothe, andrerseits ins Blaue; das Blaue theils ins Grüne, theils ins Rothe; das Rothe bald ins Gelbe bald ins Blaue; der Purpur schwebt auf der Gränze zwischen Roth und Blau und neigt sich bald zum Schar- lach bald zum Violetten.
Indem die Alten auf diese Weise die Farbe als ein nicht nur an sich bewegliches und flüchtiges anse- hen; sondern auch ein Vorgefühl der Steigerung und des Rückganges haben: so bedienen sie sich, wenn sie von den Farben reden, auch solcher Ausdrücke, welche diese Anschauung andeuten. Sie lassen das Gelbe rötheln, weil es in seiner Steigerung zum Ro- then führt; oder das Rothe gelbeln, indem es sich oft zu diesem seinen Ursprunge zurück neigt.
Die so specificirten Farben lassen sich nun wieder- um ramificiren. Die in der Steigerung begriffene Farbe kann, auf welchem Puncte man sie festhalten will, durch ein stärkeres Licht diluirt, durch einen Schatten verfinstert, ja in sich selbst vermehrt und zusammenge- drängt werden. Für die dadurch entstehenden Nüancen werden oft nur die Nahmen der Species, auch wohl nur das Genus überhaupt, angewendet.
Die gesättigten, in sich gedrängten und noch dazu schattigen Farben werden zur Bezeichnung des Dunklen, Finstern, Schwarzen überhaupt gebraucht, so wie im Fall daß sie ein gedrängtes Licht zurückwerfen, für leuchtend, glänzend, weiß oder hell.
ſie nach beyden Seiten auch von angraͤnzenden Farben gebraucht werden. Ihr Gelbes neigt ſich einerſeits ins Rothe, andrerſeits ins Blaue; das Blaue theils ins Gruͤne, theils ins Rothe; das Rothe bald ins Gelbe bald ins Blaue; der Purpur ſchwebt auf der Graͤnze zwiſchen Roth und Blau und neigt ſich bald zum Schar- lach bald zum Violetten.
Indem die Alten auf dieſe Weiſe die Farbe als ein nicht nur an ſich bewegliches und fluͤchtiges anſe- hen; ſondern auch ein Vorgefuͤhl der Steigerung und des Ruͤckganges haben: ſo bedienen ſie ſich, wenn ſie von den Farben reden, auch ſolcher Ausdruͤcke, welche dieſe Anſchauung andeuten. Sie laſſen das Gelbe roͤtheln, weil es in ſeiner Steigerung zum Ro- then fuͤhrt; oder das Rothe gelbeln, indem es ſich oft zu dieſem ſeinen Urſprunge zuruͤck neigt.
Die ſo ſpecificirten Farben laſſen ſich nun wieder- um ramificiren. Die in der Steigerung begriffene Farbe kann, auf welchem Puncte man ſie feſthalten will, durch ein ſtaͤrkeres Licht diluirt, durch einen Schatten verfinſtert, ja in ſich ſelbſt vermehrt und zuſammenge- draͤngt werden. Fuͤr die dadurch entſtehenden Nuͤançen werden oft nur die Nahmen der Species, auch wohl nur das Genus uͤberhaupt, angewendet.
Die geſaͤttigten, in ſich gedraͤngten und noch dazu ſchattigen Farben werden zur Bezeichnung des Dunklen, Finſtern, Schwarzen uͤberhaupt gebraucht, ſo wie im Fall daß ſie ein gedraͤngtes Licht zuruͤckwerfen, fuͤr leuchtend, glaͤnzend, weiß oder hell.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0089"n="55"/>ſie nach beyden Seiten auch von angraͤnzenden Farben<lb/>
gebraucht werden. Ihr Gelbes neigt ſich einerſeits ins<lb/>
Rothe, andrerſeits ins Blaue; das Blaue theils ins<lb/>
Gruͤne, theils ins Rothe; das Rothe bald ins Gelbe<lb/>
bald ins Blaue; der Purpur ſchwebt auf der Graͤnze<lb/>
zwiſchen Roth und Blau und neigt ſich bald zum Schar-<lb/>
lach bald zum Violetten.</p><lb/><p>Indem die Alten auf dieſe Weiſe die Farbe als<lb/>
ein nicht nur an ſich bewegliches und fluͤchtiges anſe-<lb/>
hen; ſondern auch ein Vorgefuͤhl der Steigerung und<lb/>
des Ruͤckganges haben: ſo bedienen ſie ſich, wenn<lb/>ſie von den Farben reden, auch ſolcher Ausdruͤcke,<lb/>
welche dieſe Anſchauung andeuten. Sie laſſen das<lb/>
Gelbe roͤtheln, weil es in ſeiner Steigerung zum Ro-<lb/>
then fuͤhrt; oder das Rothe gelbeln, indem es ſich<lb/>
oft zu dieſem ſeinen Urſprunge zuruͤck neigt.</p><lb/><p>Die ſo ſpecificirten Farben laſſen ſich nun wieder-<lb/>
um ramificiren. Die in der Steigerung begriffene Farbe<lb/>
kann, auf welchem Puncte man ſie feſthalten will,<lb/>
durch ein ſtaͤrkeres Licht diluirt, durch einen Schatten<lb/>
verfinſtert, ja in ſich ſelbſt vermehrt und zuſammenge-<lb/>
draͤngt werden. Fuͤr die dadurch entſtehenden Nuͤan<hirendition="#aq">ç</hi>en<lb/>
werden oft nur die Nahmen der Species, auch wohl<lb/>
nur das Genus uͤberhaupt, angewendet.</p><lb/><p>Die geſaͤttigten, in ſich gedraͤngten und noch dazu<lb/>ſchattigen Farben werden zur Bezeichnung des Dunklen,<lb/>
Finſtern, Schwarzen uͤberhaupt gebraucht, ſo wie im<lb/>
Fall daß ſie ein gedraͤngtes Licht zuruͤckwerfen, fuͤr<lb/>
leuchtend, glaͤnzend, weiß oder hell.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[55/0089]
ſie nach beyden Seiten auch von angraͤnzenden Farben
gebraucht werden. Ihr Gelbes neigt ſich einerſeits ins
Rothe, andrerſeits ins Blaue; das Blaue theils ins
Gruͤne, theils ins Rothe; das Rothe bald ins Gelbe
bald ins Blaue; der Purpur ſchwebt auf der Graͤnze
zwiſchen Roth und Blau und neigt ſich bald zum Schar-
lach bald zum Violetten.
Indem die Alten auf dieſe Weiſe die Farbe als
ein nicht nur an ſich bewegliches und fluͤchtiges anſe-
hen; ſondern auch ein Vorgefuͤhl der Steigerung und
des Ruͤckganges haben: ſo bedienen ſie ſich, wenn
ſie von den Farben reden, auch ſolcher Ausdruͤcke,
welche dieſe Anſchauung andeuten. Sie laſſen das
Gelbe roͤtheln, weil es in ſeiner Steigerung zum Ro-
then fuͤhrt; oder das Rothe gelbeln, indem es ſich
oft zu dieſem ſeinen Urſprunge zuruͤck neigt.
Die ſo ſpecificirten Farben laſſen ſich nun wieder-
um ramificiren. Die in der Steigerung begriffene Farbe
kann, auf welchem Puncte man ſie feſthalten will,
durch ein ſtaͤrkeres Licht diluirt, durch einen Schatten
verfinſtert, ja in ſich ſelbſt vermehrt und zuſammenge-
draͤngt werden. Fuͤr die dadurch entſtehenden Nuͤançen
werden oft nur die Nahmen der Species, auch wohl
nur das Genus uͤberhaupt, angewendet.
Die geſaͤttigten, in ſich gedraͤngten und noch dazu
ſchattigen Farben werden zur Bezeichnung des Dunklen,
Finſtern, Schwarzen uͤberhaupt gebraucht, ſo wie im
Fall daß ſie ein gedraͤngtes Licht zuruͤckwerfen, fuͤr
leuchtend, glaͤnzend, weiß oder hell.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/89>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.