Grund machte aber auch ein farbiges und gewissermaßen noch prächtigeres Gespenst. Wenn sich dort das Licht in so vielerley Farben auflöst, sagte ich zu mir selbst: so müßte ja hier auch die Finsterniß als in Farben auf- gelöst angesehen werden.
Der Apparat meiner Tafeln war sorgfältig und reinlich zusammengeschafft, vereinfacht soviel wie mög- lich und so eingerichtet, daß man die sämmtlichen Phä- nomene in einer gewissen Ordnung dabey betrachten konnte. Ich wußte mir im Stillen nicht wenig mit meiner Entdeckung, denn sie schien sich an manches bis- her von mir Erfahrne und Geglaubte anzuschließen. Der Gegensatz von warmen und kalten Farben der Maler zeigte sich hier in abgesonderten blauen und gelben Rändern. Das Blaue erschien gleichsam als Schleyer des Schwarzen, wie sich das Gelbe als ein Schleyer des Weißen bewies. Ein Helles mußte über das Dunkle, ein Dunkles über das Helle geführt wer- den, wenn die Erscheinung eintreten sollte: denn keine perpendiculare Gränze war gefärbt. Das alles schloß sich an dasjenige an, was ich in der Kunst von Licht und Schatten, und in der Natur von apparenten Farben gehört und gesehen hatte. Doch stand alles dieses mir ohne Zusammenhang vor der Seele und keinesweges so entschieden, wie ich es hier aus- spreche.
Da ich in solchen Dingen gar keine Erfahrung hatte und mir kein Weg bekannt war, auf dem ich
Grund machte aber auch ein farbiges und gewiſſermaßen noch praͤchtigeres Geſpenſt. Wenn ſich dort das Licht in ſo vielerley Farben aufloͤſt, ſagte ich zu mir ſelbſt: ſo muͤßte ja hier auch die Finſterniß als in Farben auf- geloͤſt angeſehen werden.
Der Apparat meiner Tafeln war ſorgfaͤltig und reinlich zuſammengeſchafft, vereinfacht ſoviel wie moͤg- lich und ſo eingerichtet, daß man die ſaͤmmtlichen Phaͤ- nomene in einer gewiſſen Ordnung dabey betrachten konnte. Ich wußte mir im Stillen nicht wenig mit meiner Entdeckung, denn ſie ſchien ſich an manches bis- her von mir Erfahrne und Geglaubte anzuſchließen. Der Gegenſatz von warmen und kalten Farben der Maler zeigte ſich hier in abgeſonderten blauen und gelben Raͤndern. Das Blaue erſchien gleichſam als Schleyer des Schwarzen, wie ſich das Gelbe als ein Schleyer des Weißen bewies. Ein Helles mußte uͤber das Dunkle, ein Dunkles uͤber das Helle gefuͤhrt wer- den, wenn die Erſcheinung eintreten ſollte: denn keine perpendiculare Graͤnze war gefaͤrbt. Das alles ſchloß ſich an dasjenige an, was ich in der Kunſt von Licht und Schatten, und in der Natur von apparenten Farben gehoͤrt und geſehen hatte. Doch ſtand alles dieſes mir ohne Zuſammenhang vor der Seele und keinesweges ſo entſchieden, wie ich es hier aus- ſpreche.
Da ich in ſolchen Dingen gar keine Erfahrung hatte und mir kein Weg bekannt war, auf dem ich
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Grund machte aber auch ein farbiges und gewiſſermaßen
noch praͤchtigeres Geſpenſt. Wenn ſich dort das Licht
in ſo vielerley Farben aufloͤſt, ſagte ich zu mir ſelbſt:
ſo muͤßte ja hier auch die Finſterniß als in Farben auf-
geloͤſt angeſehen werden.
Der Apparat meiner Tafeln war ſorgfaͤltig und
reinlich zuſammengeſchafft, vereinfacht ſoviel wie moͤg-
lich und ſo eingerichtet, daß man die ſaͤmmtlichen Phaͤ-
nomene in einer gewiſſen Ordnung dabey betrachten
konnte. Ich wußte mir im Stillen nicht wenig mit
meiner Entdeckung, denn ſie ſchien ſich an manches bis-
her von mir Erfahrne und Geglaubte anzuſchließen.
Der Gegenſatz von warmen und kalten Farben der
Maler zeigte ſich hier in abgeſonderten blauen und
gelben Raͤndern. Das Blaue erſchien gleichſam als
Schleyer des Schwarzen, wie ſich das Gelbe als ein
Schleyer des Weißen bewies. Ein Helles mußte uͤber
das Dunkle, ein Dunkles uͤber das Helle gefuͤhrt wer-
den, wenn die Erſcheinung eintreten ſollte: denn keine
perpendiculare Graͤnze war gefaͤrbt. Das alles ſchloß
ſich an dasjenige an, was ich in der Kunſt von Licht
und Schatten, und in der Natur von apparenten
Farben gehoͤrt und geſehen hatte. Doch ſtand alles
dieſes mir ohne Zuſammenhang vor der Seele und
keinesweges ſo entſchieden, wie ich es hier aus-
ſpreche.
Da ich in ſolchen Dingen gar keine Erfahrung
hatte und mir kein Weg bekannt war, auf dem ich
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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 679. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/713>, abgerufen am 22.11.2024.
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