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Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810.

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und das ich, nachdem ich es Jahre lang im Stillen aus-
gebildet, endlich auf einmal, gleichsam aus dem Steg-
reife und gewissermaßen instinctartig, auf das Papier
fixirte. Daher denn die Lebhaftigkeit und Wirksamkeit
meiner Productionen sich ableiten mag.

Da mir aber, so wohl in Absicht auf die Concep-
tion eines würdigen Gegenstandes als auf die Compo-
sition und Ausbildung der einzelnen Theile, so wie was
die Technik des rhythmischen und prosaischen Styls be-
traf, nichts Brauchbares, weder von den Lehrstühlen
noch aus den Büchern entgegenkam, indem ich manches
Falsche zwar zu verabscheuen, das Rechte aber nicht zu
erkennen wußte und deshalb selbst wieder auf falsche
Wege gerieth; so suchte ich mir außerhalb der Dichtkunst
eine Stelle, auf welcher ich zu irgend einer Verglei-
chung gelangen, und dasjenige was mich in der Nähe
verwirrte, aus einer gewissen Entfernung übersehen und
beurtheilen könnte.

Diesen Zweck zu erreichen, konnte ich mich nir-
gends besser hinwenden als zur bildenden Kunst. Ich
hatte dazu mehrfachen Anlaß: denn ich hatte so oft
von der Verwandtschaft der Künste gehört, welche man
auch in einer gewissen Verbindung zu behandeln anfing.
Ich war in einsamen Stunden früherer Zeit auf die
Natur aufmerksam geworden, wie sie sich als Land-
schaft zeigt, und hatte, da ich von Kindheit auf in den
Werkstätten der Maler aus und einging, Versuche ge-
macht, das was mir in der Wirklichkeit erschien, so

und das ich, nachdem ich es Jahre lang im Stillen aus-
gebildet, endlich auf einmal, gleichſam aus dem Steg-
reife und gewiſſermaßen inſtinctartig, auf das Papier
fixirte. Daher denn die Lebhaftigkeit und Wirkſamkeit
meiner Productionen ſich ableiten mag.

Da mir aber, ſo wohl in Abſicht auf die Concep-
tion eines wuͤrdigen Gegenſtandes als auf die Compo-
ſition und Ausbildung der einzelnen Theile, ſo wie was
die Technik des rhythmiſchen und proſaiſchen Styls be-
traf, nichts Brauchbares, weder von den Lehrſtuͤhlen
noch aus den Buͤchern entgegenkam, indem ich manches
Falſche zwar zu verabſcheuen, das Rechte aber nicht zu
erkennen wußte und deshalb ſelbſt wieder auf falſche
Wege gerieth; ſo ſuchte ich mir außerhalb der Dichtkunſt
eine Stelle, auf welcher ich zu irgend einer Verglei-
chung gelangen, und dasjenige was mich in der Naͤhe
verwirrte, aus einer gewiſſen Entfernung uͤberſehen und
beurtheilen koͤnnte.

Dieſen Zweck zu erreichen, konnte ich mich nir-
gends beſſer hinwenden als zur bildenden Kunſt. Ich
hatte dazu mehrfachen Anlaß: denn ich hatte ſo oft
von der Verwandtſchaft der Kuͤnſte gehoͤrt, welche man
auch in einer gewiſſen Verbindung zu behandeln anfing.
Ich war in einſamen Stunden fruͤherer Zeit auf die
Natur aufmerkſam geworden, wie ſie ſich als Land-
ſchaft zeigt, und hatte, da ich von Kindheit auf in den
Werkſtaͤtten der Maler aus und einging, Verſuche ge-
macht, das was mir in der Wirklichkeit erſchien, ſo

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[668/0702] und das ich, nachdem ich es Jahre lang im Stillen aus- gebildet, endlich auf einmal, gleichſam aus dem Steg- reife und gewiſſermaßen inſtinctartig, auf das Papier fixirte. Daher denn die Lebhaftigkeit und Wirkſamkeit meiner Productionen ſich ableiten mag. Da mir aber, ſo wohl in Abſicht auf die Concep- tion eines wuͤrdigen Gegenſtandes als auf die Compo- ſition und Ausbildung der einzelnen Theile, ſo wie was die Technik des rhythmiſchen und proſaiſchen Styls be- traf, nichts Brauchbares, weder von den Lehrſtuͤhlen noch aus den Buͤchern entgegenkam, indem ich manches Falſche zwar zu verabſcheuen, das Rechte aber nicht zu erkennen wußte und deshalb ſelbſt wieder auf falſche Wege gerieth; ſo ſuchte ich mir außerhalb der Dichtkunſt eine Stelle, auf welcher ich zu irgend einer Verglei- chung gelangen, und dasjenige was mich in der Naͤhe verwirrte, aus einer gewiſſen Entfernung uͤberſehen und beurtheilen koͤnnte. Dieſen Zweck zu erreichen, konnte ich mich nir- gends beſſer hinwenden als zur bildenden Kunſt. Ich hatte dazu mehrfachen Anlaß: denn ich hatte ſo oft von der Verwandtſchaft der Kuͤnſte gehoͤrt, welche man auch in einer gewiſſen Verbindung zu behandeln anfing. Ich war in einſamen Stunden fruͤherer Zeit auf die Natur aufmerkſam geworden, wie ſie ſich als Land- ſchaft zeigt, und hatte, da ich von Kindheit auf in den Werkſtaͤtten der Maler aus und einging, Verſuche ge- macht, das was mir in der Wirklichkeit erſchien, ſo

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Zitationshilfe: Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Bd. 2. Tübingen, 1810, S. 668. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/goethe_farbenlehre02_1810/702>, abgerufen am 22.11.2024.